14.06.2018
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Einleitung: 

Klimamodelle hätten einige wichtige Aspekte des Klimawandels bisher unterschätzt, so der weltweit renommierte Klimaforscher Stefan Rahmstorf. Arktis und Antarktis schmelzen deutlich schneller als bisher angenommen. Bereits bei einen Meeresspiegelanstieg von unter einem Meter seien Küstenstädte wie New York durch eine Zunahme von Sturmfluten existentiell bedroht. Die Veränderung von Luftströmungen wie dem Jetstream führe zu vermehrten Extremwetterereignissen wie Hitzewellen, Kälteeinbrüchen und Starkregen. Da 50 Jahre auf die Klimawissenschaften kaum reagiert wurde, sei nun ein sehr schneller Ausstieg aus den fossilen Energien notwendig. Doch der Bundesregierung fehle dazu der politische Wille. Die enorm hohen Subventionen für Öl, Gas und Kohle müssen rasch abgebaut und neue Kohlekraftwerke verhindert werden.

Gäste: 

Stefan Rahmstorf, Co-Leiter der Abteilung Erdsystemanalyse am Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK), Professor für die Physik der Ozeane an der Universität Potsdam

In den vergangenen Jahrzehnten haben die Eismassen der Arktis infolge des Klimawandels bereits die Hälfte ihrer Fläche und drei Viertel ihrer Masse verloren. Da der Nordpol sich besonders schnell erwärmt, verändern sich auch die Luftströmungen. Der sogenannte Jetstream etwa, der um die gesamte Nordhalbkugel verläuft, bildet ungewöhnlich große Schwingungen aus, die immer wieder dafür sorgen, dass polare Luftmassen nach Mitteleuropa gelangen und zugleich tropische Wärme Richtung Arktis. Das Eis der Antarktis schmilzt ebenfalls deutlich schneller als bisher angenommen. Ein vollständiges Abschmelzen würde einen Meeresspiegelanstieg um 60 Meter bedeuten. Aber bereits ein Anstieg von 50 Zentimetern bis ein Meter würde dazu führen, dass Küstenstädte wie New York oder Schanghai auf Dauer nicht mehr zu halten sind, weil Sturmfluten wie Hurrikan Sandy wesentlich öfter auftreten. Das Schwinden der Gletscher im Himalaya, in den Anden und Alpen bedroht außerdem langfristig die Süßwasserversorgung.

Durch die Erwärmung der Ozeane wandern viele Meerestiere in nördliche Breiten ab. Dadurch reißen über Jahrtausende aufgebaute Nahrungsketten, Fischbestände brechen zusammen. Außerdem nimmt durch die Oberflächenerwärmung der Sauerstoffgehalt in größeren Tiefen ab. In Folge breiten sich in vielen Weltmeeren sogenannte Todeszonen aus, in denen kein Leben mehr möglich ist. Der Golfstrom, der Wärme aus dem Golf von Mexiko Richtung Europa transportiert, hat sich infolge des Klimawandels bereits um 15 Prozent abgeschwächt. Im Nordatlantik hat sich daher eine Zone entwickelt, die im Gegensatz zum übrigen Globus kälter wird. Das wiederum verändert die Luftströmungen, mit der paradoxen Folge, dass öfter heiße Luftmassen aus dem Süden nach Mitteleuropa eindringen.

Bereits vor mehr als 50 Jahren, im Jahr 1965, warnten Klimawissenschaftler den US-Präsidenten Lyndon B. Johnson vor den dramatischen Folgen eines menschengemachten Klimawandels. Vor dem Hintergrund dieser langen Geschichte sei das Pariser Klimaabkommen von 2015, so Stefan Rahmstorf, mindestens 20 Jahre zu spät gekommen. Die freiwilligen Reduktionen des Abkommens decken nur die Hälfte der notwendigen Maßnahmen ab. Während zu einem früheren Zeitpunkt ein langsamer Umbau zu einer CO2-freien Wirtschaft möglich gewesen sei, müsse der Ausstieg aus den fossilen Energien jetzt sehr schnell in Angriff genommen werden, um katastrophalen Klimawandel zu verhindern. Doch dazu sei der politische Wille der Bundesregierung – die bereits ihre eigenen Klimaschutzziele für 2020 aufgegeben hat – nicht zu erkennen.

„Abstrakte Klimaschutzziele retten das Klima nicht“, so Rahmstorf, „sondern nur konkrete Maßnahmen.“ So müssen etwa die massiven Subventionen von Erdöl, Kohle und Gas, die der Internationale Währungsfonds weltweit mit fünf Billionen (5000 Milliarden) US-Dollar pro Jahr beziffert, rasch abgebaut werden. Die gesellschaftlichen Schäden durch fossile Energien müssten in die Rechnung einbezogen werden. Außerdem brauche es dringend einen weltweiten Stopp für den Bau neuer Kohlekraftwerke. In Deutschland hätten die bestehenden Kohlekraftwerke große Überkapazitäten, die für den Stromexport genutzt werden. Eine rasche Umstellung des Energiesektors auf hundert Prozent Erneuerbare Energien sei eigentlich vergleichsweise einfach, schwieriger sei der Verkehrssektor und die Landwirtschaft. Der Flugverkehr etwa müsse deutlich reduziert werden. Zweifel an den Klimawissenschaften seien seit Jahrzehnten von fossilen Unternehmen wie Exxon Mobil mit hunderten Millionen Dollar für Desinformationskampagnen gesät worden. Noch im Bundestagswahlkampf 2017 habe beispielsweise die AfD diese Fehlinformationen weiterverbreitet.