07.06.2013
Share: mp3 | Embed video
Einleitung: 

Die Bedrohung durch den Iran sei eine „Obsession des Westens“. Der Großteil der Staaten wie auch die arabischen Gesellschaften fühlten sich durch den Iran nicht bedroht, das zeigten Umfragen, so Chomsky. „Die wirkliche Gefahr sehen sie in den USA und Israel. Das ist im Übrigen einer der Gründe, warum der Westen sich so sehr davor fürchtet, dass in der Region Demokratie entstehen könnte.“ Für US-Geheimdienste und das Pentagon ist der Iran keine militärische Bedrohung. Er könne jedoch durch ein mögliches Atomwaffenprogramm eine Abschreckung darstellen. „Wenn jemand nach globaler Vorherrschaft strebt wie die USA, dann will man jedoch kein Land mit Abschreckungspotentialen“. Gleichzeitig verhinderten die USA mit der Einrichtung einer Atomwaffenfreien Zone im Nahen Osten eine Entspannung der Lage und rüsteten Israel zudem u.a. mit Raketen gegen Flugabwehrsysteme weiter auf. "Sie versorgen Israel faktisch mit Material, dass für einen Angriff auf den Iran genutzt werden kann." Obama eskaliere zudem den Nahost-Konflikt, indem er den Siedlungsbau im Westjordanland aus den Verhandlungen ausschließe. Nach internationalem Recht sind alle Siedlungen illegal. "Reagan änderte die Position von 'illegal' hin zu 'eine Hürde für den Frieden'. Obama schwächte diese Position bei seinem letzten Besuch vor einigen Wochen weiter ab. Jetzt heißt es: 'Nicht hilfreich für den Frieden'. Obama meinte damit die Expansion, nicht die Siedlungen an sich. Solch eine Voraussetzung macht Verhandlungen praktisch unmöglich." Die Annektierung von wertvollen Gebieten im Westjordanland durch Israel, von denen die Araber vertrieben würden, gehe währrenddessen weiter.

Gäste: 

Noam Chomsky, Linguist, Aktivist und Buchautor (u.a. "Manufacturing Consent", "Profit over People" und "Occupy"). Chomsky ist offizieller Unterstützer von Kontext TV.

Transkript: 

David Goeßmann: Wie passt Israel und die Konfrontation mit dem Iran in die amerikanische Nahost-Politik? Und wie sieht die gegenwärtige Planung der USA und Israels in Bezug auf den Iran aus?

Noam Chomsky: Der Iran ist ein sehr interessanter Fall. Iran wird von den USA als größte Gefahr für den Frieden angesehen. Bei den außenpolitischen Debatten zwischen Romney und Obama war der Iran das Hauptthema. Eigentlich muss man sagen, dass es Israel war. Denn beide Kandidaten mussten ja ihre niemals endende Loyalität für Israel erklären. Aber danach kam direkt der Iran, andere Probleme wurden an den Rand gedrückt. Sie haben vielleicht die Anhörungen des neuen Verteidigungsministers Chuck Hagel im Senat verfolgt. Es ging praktisch wie bei Präsidentendebatten nur um Israel und Iran. Der Iran wurde als die größte Gefahr für den Weltfrieden oder doch zumindest für den regionalen Frieden porträtiert. Das wirft einige Fragen auf, die aber nicht gestellt werden. Sie sind leicht zu beantworten. Eine Frage ist: Wer glaubt, dass es sich beim Iran um die größte Gefahr für den Frieden handelt? Es zeigt sich, dass das eine Obsession des Westens ist, der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten. Es trifft sicher nicht für die blockfreien Staaten zu, die Irans Recht, Uran anzureichern, vehement verteidigen. Interessanterweise trifft es auch nicht auf die arabische Welt zu, zumindest nicht die arabische Bevölkerung. Wenn die arabische Welt genannt wird, meint man die Diktatoren. Dann wird gesagt: “Okay, die Araber unterstützen uns, da uns die Diktatoren unterstützen“. Ein Hinweis für die tief verwurzelte Verachtung für Demokratie in westlichen Gesellschaften. Was ist also mit der arabischen Bevölkerung? Nun, wir wissen viel über die Bevölkerung, es gibt regelmäßig Umfragen, viele davon durchgeführt von führenden westlichen Meinungsforschungsinstituten. So wurde am Vorabend des Arabischen Frühlings eine von westlichen Organisationen geleitete Umfrage in Ägypten durchgeführt, mit interessanten Ergebnissen. Araber mögen den Iran nicht und das reicht weit in die Geschichte zurück. Aber sie betrachten den Iran nicht als eine Gefahr, nur vielleicht 10 Prozent von ihnen. Die wirkliche Gefahr sehen sie in den USA und Israel. Das ist im Übrigen einer der Gründe, warum der Westen sich so sehr davor fürchtet, dass in der Region Demokratie entstehen könnte. Demokratie bedeutet, dass die Meinung der Bevölkerung einen Einfluss auf die Politik hat. Was die Atomwaffen angeht: Natürlich wollen die Menschen dort keine nuklearen Waffen, tatsächlich ist Ägypten seit Jahrzehnten führend bei dem Versuch, in der Region eine atomwaffenfreie Zone zu errichten. Andererseits meinte die Mehrheit der Ägypter unmittelbar vor dem Ausbruch des Arabischen Frühlings, dass die Region sicherer wäre, wenn der Iran Atomwaffen besäße, wegen der Hauptbedrohungen durch den Westen. Wie gesagt, natürlich wollen sie generell keine Atomwaffen. Es gibt andere Umfragen in der Region mit ungefähr den gleichen Ergebnissen. Nur wenige betrachten den Iran als eine Gefahr, sie mögen den Iran nicht, es gibt Feinseligkeiten, aber sie betrachten ihn nicht als Gefahr. Und das trifft auch auf einen Großteil der Weltbevölkerung zu. Es ist eine Obsession des Westens. Warum ist das so? Worin besteht also nun die Natur dieser größten Bedrohung? Wir haben einige zuverlässige Antworten darauf, die aus U.S. Geheimdienstinformationen und dem Pentagon stammen. Beamte halten vor dem Kongress regelmäßig Präsentationen über die globale Sicherheitssituation ab, öffentlich zugänglich, also nicht geheim. Es wird gesagt, dass der Iran eine ernstzunehmende Bedrohung ist. Er sei keine militärische Bedrohung, seine Militärausgaben seien niedrig, selbst gemessen an den Standards in der Region, und machen sicher nur einen Bruchteil der Ausgaben der USA oder Israels aus. Sicherlich, der Iran habe eine Militär-Doktrin, aber die sei ganz auf Verteidigung ausgerichtet. Sie bestehe darin, eine mögliche Invasion so lange abzuhalten, bis die Diplomatie wieder eingreifen könne.
Natürlich diskutieren die Militärs und Geheimdienstbeamten auch das mögliche Atomwaffenprogramm. Man wissen nicht, ob der Iran eines habe. Sollte das so sein, dann wäre es Teil seiner Abschreckungsstrategie. Das ist der Kern der Bedrohung. Der Iran könnte eine Abschreckung darstellen. Wenn jemand nach globaler Vorherrschaft strebt wie die USA, dann will man jedoch kein Land mit Abschreckungspotentialen. Das ist eine der Bedrohungen. Die andere Bedrohung besteht in dem, was man “die Region destabilisieren” nennt. Ein technischer Ausdruck, der bedeutet, dass der Iran die Fähigkeit besitzt, seinen Einfluss auf Nachbarländer auszubauen – in den Irak und Afghanistan. Wenn die USA und der Westen in diese Länder einfallen und sie zerstören, nennen wir es „Stabilisierung“, wenn der Iran seinen Einfluss ausbaut, nennt man es Destabilisierung. Also werden wir das nicht tolerieren. Es gibt noch weitere Anklagen. Aber so sieht die Konstellation im Prinzip aus. Die letzte Frage ist: Worin auch immer die Bedrohung besteht, was kann man dagegen tun? Verschiedene Sachen. Wir könnten tatsächlich dem Beispiel Ägypten folgen und uns in Richtung auf die Etablierung einer Atomwaffenfreien Zone in der Region bewegen, eine Forderung, die auch auf der Konferenz der blockfreien Staaten vor rund einem Jahr erneuert wurde. Die internationale Unterstützung dafür ist so groß, dass die USA gezwungen waren zumindest formell einzuwilligen. Gleichzeitig fügte man Vorbehalte hinzu und sagte: „Nicht jetzt“. Einer der amerikanischen Vorbehalte ist, dass Israel aus dieser Zone ausgeschlossen werden muss. Nun, gibt es einen Weg, eine solche Zone umzusetzen? Ja, definitiv, beispielsweise sollte im letzten Dezember eine Internationale Konferenz in Helsinki stattfinden, unter der Federführung des Atomwaffensperrvertrags der Vereinten Nationen, die die Einrichtung einer Atomwaffenfreien Zone Naher Osten diskutieren wollte. Alle warteten darauf, ob der Iran teilnehmen würde, was er tat. Wenige Tage danach, Anfang November, ließ Obama die Teilnahme an der Konferenz absagen. Es sei nicht die richtige Zeit. Das Europäische Parlament stimmte dafür, die Gespräche voranzubringen, unterstützt von den arabischen Staaten, die sich an die Spitze der Bewegung stellten. Aber man kann natürlich nichts vereinbaren, wenn die  USA praktisch ihr Veto einlegen. Könnte man gegen die Veto-Haltung etwas unternehmen? Durch Proteste zum Beispiel? Nein. Denn es wurde kein Wort über diese Ereignisse in den USA berichtet. Man muss schon eine Art Abhängiger sein und Magazine über Rüstungskontrolle oder dissidente Literatur über die Verbreitung von Waffen lesen, um davon zu erfahren. Niemand sonst konnte davon etwas mitbekommen. Also, es die Situation ist schwierig. Aber es gibt Potentiale. In Europa könnte sehr viel getan werden. Europa könnte dem Beispiel des Europäischen Parlaments folgen. Theoretisch gibt es also viele Möglichkeiten. Aber man muss sich gegen Widerstände durchsetzen. Das bringt uns zurück zum Israel-Palästina Konflikt. Die USA unterstützen Israels Politik nicht nur, sondern haben ihre Unterstützung noch erweitert. Vor dem Hintergrund all der Haushaltsprobleme in den USA stockt die Regierung die Militärhilfe für Israel noch auf, die sich bereits in der Stratosphäre befand. Sie versorgen Israel faktisch mit Material, dass für einen Angriff auf den Iran genutzt werden kann. Noch sind keine sogenannten tief eindringenden Bomben, sogenannten bunkerbrechenden Bomben, dabei, die weit in die Erde durchschlagen. Noch haben die USA das nicht gemacht. Das letzte Abkommen der USA mit Israel vor ein paar Tagen geht aber in eine klare Richtung. Es bietet zusätzliche Optionen für das Nachtanken, was natürlich wichtig für die Bombardierung Irans ist. Ebenfalls werden Raketen geliefert, einsetzbar zur Zerstörung von Flugabwehrsystemen, was ausschlaggebend für die Bombardierung Irans ist. Es gibt also zwei Staaten, die die UN Charta jeden Tag verletzen – nichts anderes steckt hinter der Formulierung  „alle Optionen liegen auf dem Tisch“. Die UN Charta untersagt die Drohung von militärischer Gewalt oder ihre Anwendung in internationalen Angelegenheiten. Aber der Westen ist gegenüber internationalem Recht immun, weil er einfach zu mächtig ist. Also spricht niemand darüber. Aber natürlich verstehen die Iraner die Botschaft. Die USA versuchen sich derzeit herauszuhalten. Es findet gerade ein Spiel statt. Ich glaube nicht, dass Israel den Iran bombardieren will. Israel will, dass die USA das machen. Man droht man den Iran zu bombardieren, um die USA dazu zu bringen, härtere Maßnahmen gegen den Iran zu unternehmen, Maßnahmen, die wiederum Israel zähmen sollen, diesen Hund, den man besser an der kurzen Leine hält. Wenn die USA nicht wollen, dass Israel etwas unternimmt, dann geben sie ihnen einfach die Anweisung. Ende der Geschichte. Also wir wissen nicht wirklich, was passieren wird, aber es ist bedrohlich. Währenddessen sind sehr harte Sanktionen in Kraft, die wie immer die Bevölkerung treffen und nicht die Regierung.  Tatsächlich untergraben sie den Widerstand der Bevölkerung gegen das Regime, genauso wie es im Irak geschah. Es gibt zwar eine Opposition, aber die Möglichkeiten sich zu organisieren schwindet. Aktuelle Berichte von Menschen, die von Teheran zurückkommen, zeigen das. Das ist die momentane Situation. Was ist mit Israel-Palästina selbst? Die USA haben deutlich gemacht, dass sie ausdrückliche und starke Voraussetzungen an Verhandlungen binden. Sie sind für Verhandlungen, aber mit extremen Voraussetzungen. Diese werden im Westen nicht „Voraussetzungen“ genannt. Denn was wir im Westen machen ist per Definition im allgemeinen Interesse.  Wenn man sich nun die Obama-Regierung anschaut, dann vertritt sie nicht nur diese Voraussetzungen, sondern verschärft sie noch weiter. Die erste Voraussetzung ist: Die Expansion der israelischen Siedlungen darf nicht angesprochen werden. Aber das ist der entscheidende Punkt. Das grundlegende Problem sind die Siedlungen. Gemäß der Haltung der internationalen Gemeinschaft, des internationalen Rechts, des UN-Sicherheitsrats und des Internationalen Strafgerichtshofs sind alle Siedlungen illegal. Das ist keine Frage der Expansion, die Siedlungen an sich sind illegal. Das war auch die Position der USA bis Reagan. Reagan änderte die Position von „illegal“ hin zu „eine Hürde für den Frieden“. Obama schwächte diese Position bei seinem letzten Besuch vor einigen Wochen weiter ab. Jetzt heißt es: „Nicht hilfreich für den Frieden“. Obama meinte damit die Expansion, nicht die Siedlungen an sich. Solch eine Voraussetzung macht Verhandlungen praktisch unmöglich. Die andere Auflage ist, dass die USA die Verhandlungen leiten. Das macht ungefähr so viel Sinn, wie wenn der Iran Verhandlungen zwischen Schiiten und Sunniten im Irak moderieren würde. Wenn es ernstzunehmende Verhandlungen wären, würden diese von einer internationalen Organisation angeführt, möglicherweise auch von einem Staat, der ein gewisses Maß an Glaubwürdigkeit hat und neutral ist, wie beispielsweise Brasilien. Dann könnte es ernsthafte Verhandlungen geben. Das ist natürlich nicht denkbar. Die Verhandlungen müssen von den USA betrieben werden und unter den von ihnen geforderten Konditionen. Und das lässt nur wenige Optionen offen. Die im Moment realistischen Optionen sind entweder, dass die USA sich in Richtung auf irgendeine Art der Zweistaatenlösung bewegen, in Übereinstimmung mit der Haltung der internationalen Gemeinschaft. Das ist bisher nicht geschehen, aber es ist durchaus denkbar. Die andere Möglichkeit ist, dass die USA und Israel einfach weiter ihrer bisherigen Politik folgen. Die öffentliche Diskussion über diese Option ist sehr irreführend. Auf allen Seiten spricht man von einem Risiko, einem demographisches Problem, das Israel eingehe, wenn es die Zweistaatenlösung nicht akzeptiere. Es würde eine Minderheit in seinem eigenen Gebiet werden und einen jüdischen Staat werde es dann nicht mehr geben. Aber das ist überhaupt keine Option. Wenn man sich die Politik der USA und Israels anschaut, dann zeigt sich, dass sie bemüht sind, diese Gefahr auszuschließen. Gaza befindet sich unter Belagerung, abgetrennt vom Westjordanland, in Verletzung der Oslo-Abkommen. Im Westjordanland verleibt sich Israel alles ein, was es haben will, es handelt sich um rund die Hälfte des Territoriums. Es sind wichtige Gebiete wie das Jordantal, wo viele Palästinenser einfach raus geworfen werden und israelische Siedler einziehen. Die palästinensischen Restgebiete sind  von israelischen Sperrzonen und Siedlungen eingekesselt. Die israelischen Siedlungsgebiete um Jerusalem sind massiv ausgeweitet worden, sie reichen tief in das Westjordanland hinein, Schnellstraßen zerteilen den Rest des palästinensischen Gebiets in Kantone. Den Palästinensern wird alles genommen, was irgendwie von Wert ist. Diese Politik ist in verschiedenen Ausprägungen seit 1967 kontinuierlich verfolgt worden, so dass heute rund 50 Prozent des Gebiets von Israel annektiert wurden. In den annektierten Gebieten leben nur noch sehr wenige Araber. Entweder wurden sie eliminiert oder entfernt. Diese Territorien werden einschließlich natürlich dessen, was sich innerhalb der Separationsmauer befindet, wo keine Araber zugelassen sind, dem israelischen Staatsgebiet in der einen oder anderen Weise einverleibt. So entledigt sich Israel des demographischen Problems: Kein Kampf um Bürgerrechte für Palästinenser, kein Kampf gegen die Apartheid. Also das sind die beiden Optionen: Entweder Zweistaatenlösung oder ein um die annektierten Gebiete erweitertes Israel.