Im Interview mit Kontext TV spricht Enthüllungsjournalist Jeremy Scahill zum ersten Mal mit einem deutschen Medium über sein gerade in den USA erschienenes Buch „Dirty Wars. The World Is a Battlefield“. Nach seinem Bestseller über die Söldnerarmee „Blackwater“ legt Scahill erneut eine bahnbrechende Investigation zur US-Kriegsführung vor. Diesmal beleuchtet Scahill die Geheimoperationen des Joint Special Operation Command (JSOC). Die JSOC-Eliteeinheiten sind direkt dem Weißen Haus unterstellt und unterliegen keiner Kontrolle durch den US-Kongress. Sie seien praktisch die Privatarmee des Präsidenten, so Scahill. Weltweit führt JSOC jährlich Zehntausende Nachtrazzien, gezielte Tötungen, Sabotageakte oder Drohnenattacken durch. Zudem werden lokale Warlord-Milizen mit Mordanschlägen beauftragt – z.B. in Somalia. Die Ziele der Operationen sind Verdächtige, „suspected militants“, denen oft nicht einmal Verbrechen zur Last gelegt werden wie dem amerikanischen Imam Anwar al-Awlaki. Die Tötung von Unschuldigen wie im afghanischen Dorf Gardez, wo schwangere Frauen getötet wurden, oder im Fall Abdulrahman, einem 16-jährigen amerikanischen Teenager, werden vertuscht, so Scahill. Nach 9/11 und insbesondere unter Präsident Obama wurden die schmutzigen Kriege zu einem globalen Tötungsprogramm in über 70 Ländern ausgeweitet. „Wir sind zu der Kraft mutiert, die wir vorgeben zu zerstören. Wir erscheinen, als hätten wir überhaupt keine Moral“, sagt Scahill.
Das Buch „Dirty Wars“ ist auch Thema des gleichnamigen Dokumentarfilms. Der Film erhielt auf dem Sundance Filmfestival den Preis für die beste filmische Darstellung im Bereich Dokumentarfilm. „Dirty Wars“ folgt Jeremy Scahill nach Afghanistan, Jemen und Somalia. Er reist zu den Opfern von US-Anschlägen, spricht mit ehemaligen JSOC-Soldaten und Whistleblowern. Der Regisseur des Films Richard Rowley ist Kriegsreporter. Während der Berichterstattung über die Kriege im Irak und Afghanistan sei er ebenso wie Scahill auf die Schattenkriege aufmerksam geworden. „Heute werden mehr Afghanen durch nirgendwo angebundene geheime Spezialeinheiten getötet und gefangen genommen als von der kompletten 200.000 Mann starken NATO-Armee vor Ort“, sagt Rowley. Jeder wisse zwar von der Tötung Osama Bin Ladens. Doch dass im gleichen Jahr 20.000 weitere nächtliche Überfälle stattfanden, sei nicht bekannt. Obama habe die vorgeblich saubereren Schattenkriege seines Vorgängers Bush noch ausgeweitet und zur neuen Norm erhoben. Dabei basiere das globale Mordprogramme von JSOC auf miserablen Geheimdienstinformationen. Immer wieder würden Unschuldige getötet. In Afghanistan kämpfe JSOC de facto „gegen Bauen, die, wenn sie überhaupt zu den Taliban gehören, gegen die Amerikaner kämpfen, weil die ihr Tal besetzen und sie sie dort weg haben wollen“. Rowley: „Es gibt für sie keinen Endpunkt. Im Inneren von JSOC nennen einige das „Rasenmähen“. Das Gras wächst ein bisschen und dann mähen sie es ab. Da sie es nicht an der Wurzel herausreißen, wächst es immer schneller nach, schneller als man es mähen kann.“
Kriegstechnologie habe eine selbsterzeugende Fähigkeit, sagt US-Kritiker Noam Chomsky. So habe man Laos und Kambodscha im Indochina-Krieg massiv bombardiert, weil man gerade die Flugzeuge in Nord-Vietnam wegen einer längeren Feuerpause nicht nutzen konnte. Das sei eine Lehre aus der Geschichte: „Die Ressourcen existieren, sie werden immer größer, (…) sie wollen immer mehr genutzt werden. Wenn ein Ziel verschwindet, suchen wir ein neues.“ Zudem würden die Technologien wie z.B. im US-Krieg gegen die Philippinen als Überwachungstechnologie in den bekämpften Gebieten, später auch im eigenen Land eingesetzt.“ Das sei auch jetzt wieder zu beobachten, so Chomsky. Das Konzept von „Dirty Wars“ entstamme nicht neuen Ideen, sagt Scahill. Die Spezialeinheit JSOC sei nach der gescheiterten Geiselbefreiung im Iran 1980 gegründet worden. Doch erst Rumsfeld und Cheney hauchten JSOC Leben ein und machten aus den Elitekräften nach 9/11 eine Schattenarmee des US-Präsidenten. In Fragen der Nationalen Sicherheit war das Weiße Haus für Cheney und Rumsfeld im Grunde eine Diktatur. Obama habe die exekutiven Befugnisse dann weiter ausgeweitet, jage jetzt Whistleblower und unliebsame Journalisten, wie den jemenitischen Reporter Abdulelah Haidar Shaya, den er wegen kritischer Berichte über US-Anschläge vom jemenitischen Diktator Saleh ins Gefängnis stecken ließ. Chomsky: „Wenn die Verantwortlichen von uns keine Beurteilung erfahren, wenn schon nicht vor Gericht, so doch zumindest in der öffentlichen Meinung, dann verhalten wir uns, wie Jeremy es sagte, nicht als verantwortliche Menschen.“