Aus Anlass des Geburtstags des US-Kritikers und Linguisten Noam Chomsky, der vor 90 Jahren am 7. Dezember 1928 in Philadelphia/USA geboren wurde, veröffentlicht Kontext TV erneut ein Interview mit Chomsky, das wir 2013 mit ihm führten. Noam Chomsky ist seit vielen Jahren offizieller Unterstützer von Kontext TV. Er spricht im Interview über Angriffe auf Wohlstand, Demokratie und Frieden in Europa und den USA. „Die Zukunft der Eurozone sieht ziemlich düster aus, wenn Deutschland seine Haltung nicht ändert“, warnt Chomsky. Die Spardiktate zerstörten potentielles Wachstum, Arbeitsplätze und damit die Zukunft einer ganzen Generation – in Europa verheerender noch als in den USA. Außenpolitisch hätten die Vereinigten Staaten weiter Kontrolle über die Zentren der Ölproduktion im arabischen Raum. Die islamistischen Regierungen, die im Zuge der arabischen Revolution in einigen Staaten an die Macht gekommen seien, folgten wie früher den neoliberalen Programmen des Westens. Doch es werde in Zukunft dort „einen Machtwechsel geben“, prognostiziert Chomsky. Die Bedrohung durch den Iran hält er für eine „Obsession des Westens“.
Noam Chomsky, Linguist, Aktivist und Buchautor (u.a. "Manufacturing Consent", "Profit over People" und "Occupy"). Chomsky ist offizieller Unterstützer von Kontext TV.
„Die Zukunft der Euro-Zone sieht ziemlich düster aus, wenn Deutschland seine Haltung nicht ändert“, sagt Noam Chomsky. Dabei sei die BRD nach dem zweiten Weltkrieg gerade durch den Schuldenerlass europäischer Staaten erst zu Wachstum und Wohlstand gekommen. Jetzt verhindere die deutsche Regierung unter Merkel genau diese Politik. Das Kürzen von Staatsausgaben sei zudem vollkommen ungeeignet, um aus der Krise heraus zu kommen. „Austerität macht alles noch viel schlimmer“. Selbst der Internationale Währungsfond nehme Abstand davon. Es stellte sich zudem heraus, dass das intellektuelle Fundament der Austeritätsprogramme, der Artikel der Harvard-Ökonomen Rogoff und Reinhart, arithmetische Fehler enthalte. „Defizite stimulieren die Nachfrage. (…) Sie sind auch kein wirkliches Problem. Es ist ein Problem für die Banken und nur deshalb ist es im Zentrum der politischen Debatte, da die Banken großen politischen Einfluss haben.“ Für die Bevölkerung bestehe das Problem in fehlenden Arbeitsplätzen, das zeigten Umfragen, so Chomsky. „Das Fehlen von Jobs zerstört eine ganze Generation einschließlich aller Konsequenzen für die Zukunft. In Europa findet das noch verheerender statt als in den USA. Es schädigt auch die Wirtschaft. Ein großer Teil des Wachstums wird zerstört, weil gesagt wird, dass wir uns um eine Inflationsgefahr sorgen müssen, die gar nicht existiert.“ Die Öffentlichkeit habe immer weniger zu sagen, das gelte auch bei Sozialkürzungen und Freihandel. „Es gibt jede Menge Proteste, die möglicherweise zu sozialen und politischen Bewegungen werden, die ernsthafte Veränderungen vorantreiben können. Aber es ist noch ein langer Weg, der vor uns liegt. Deutschland ist wegen seiner Machtposition im Zentrum dieser Entwicklungen.“
„Sehr zur Genugtuung der Vereinigten Staaten und seiner Verbündeten gab es im Prinzip keinen Wandel in den Hauptzentren der Ölproduktion, also Saudi Arabien und der Golfregion. Die Diktaturen sind weiter fest im Sattel“, sagt Noam Chomsky. Es habe Versuche der Bevölkerung dort gegeben, sich dem Arabischen Frühling anzuschließen, aber sie wurden mit der Unterstützung des Westens schnell und hart niedergeschlagen. Der Irak sei hingegen ein herber Verlust für die USA, das Land folge nicht mehr den Befehlen der USA und werde nun vom Iran beeinflusst, z.B. bei Unterstützungslieferungen an das Assad-Regime in Syrien. In anderen Regionen wie Ägypten und Tunesien habe der arabische Frühling jedoch Erfolge gefeiert. Gleichzeitig würden die islamistischen Regierungen den neoliberalen Programmen des Westens folgen. Die beiden militärisch besetzten Gebiete der Region, die Westsahara und Palästina, habe man abgeschirmt gegenüber Veränderungen. Die Umwälzungen im arabischen Raum befänden sich derzeit nicht in einem Stillstand, vielmehr in einer Warteperiode, sagt Chomsky. „Ich denke, dass es dort einen Machtwechsel geben wird. Es ist viel schwerer geworden, die Bevölkerungen einfach zu missachten, wie es der Fall unter den vom Westen gestützten Diktaturen war. Selbst in den Öl-Diktaturen müssen die Machthaber nun der Bevölkerung ein wenig mehr Beachtung schenken.“
Die Bedrohung durch den Iran sei eine „Obsession des Westens“. Der Großteil der Staaten wie auch die arabischen Gesellschaften fühlten sich durch den Iran nicht bedroht, das zeigten Umfragen, so Chomsky. „Die wirkliche Gefahr sehen sie in den USA und Israel. Das ist im Übrigen einer der Gründe, warum der Westen sich so sehr davor fürchtet, dass in der Region Demokratie entstehen könnte.“ Für US-Geheimdienste und das Pentagon ist der Iran keine militärische Bedrohung. Er könne jedoch durch ein mögliches Atomwaffenprogramm eine Abschreckung darstellen. „Wenn jemand nach globaler Vorherrschaft strebt wie die USA, dann will man jedoch kein Land mit Abschreckungspotentialen“. Gleichzeitig verhinderten die USA mit der Einrichtung einer Atomwaffenfreien Zone im Nahen Osten eine Entspannung der Lage und rüsteten Israel zudem u.a. mit Raketen gegen Flugabwehrsysteme weiter auf. "Sie versorgen Israel faktisch mit Material, dass für einen Angriff auf den Iran genutzt werden kann." Obama eskaliere zudem den Nahost-Konflikt, indem er den Siedlungsbau im Westjordanland aus den Verhandlungen ausschließe. Nach internationalem Recht sind alle Siedlungen illegal. "Reagan änderte die Position von 'illegal' hin zu 'eine Hürde für den Frieden'. Obama schwächte diese Position bei seinem letzten Besuch vor einigen Wochen weiter ab. Jetzt heißt es: 'Nicht hilfreich für den Frieden'. Obama meinte damit die Expansion, nicht die Siedlungen an sich. Solch eine Voraussetzung macht Verhandlungen praktisch unmöglich." Die Annektierung von wertvollen Gebieten im Westjordanland durch Israel, von denen die Araber vertrieben würden, gehe währrenddessen weiter.