Rex Osa erzählt, wie er 2005 als Asylsuchender, verfolgt von seiner Regierung in Nigeria, in Deutschland in einem Schnellverfahren ohne Rechtsbeistand als Schutzsuchender abgelehnt wurde. „Dieselben Probleme mit Korruption und zermürbender Bürokratie wie in Nigeria, bloß besser organisiert.“ Er wehrte sich jedoch, so dass er heute nicht mehr von Abschiebung bedroht ist. Seitdem engagiert sich Osa politisch für Flüchtlinge, Flüchtlingsrechte und gegen die inhumane und unfaire Behandlung von Schutzsuchenden in Deutschland. So würden in laufenden Gerichtsprozessen eine Reihe von Rechtsbrüchen in deutschen Massenunterkünften und Lagern verhandelt. Die Schutzsuchenden würden in deutschen Ankerzentren wie in Konzentrationslagern behandelt. „Ich erwarte von einem europäischen Staat und von Deutschland mehr.“ Auch ist er aktiv in der sogenannten Oury-Jalloh-Initiative, die den Tod des Geflüchteten aus Sierra Leone in einer Polizeizelle in Dessau aufklären will. Es sei beschämend, dass der deutsche Staat über zehn Jahre hinweg die Misshandlungen nicht wirklich untersuche. Vor rund einem Jahr gründete er in Nigeria einen Initiative in Kooperation mit Abgeschobenen, um Leute vor Ort über die Realität in Europa zu informieren. Osa fordert, dass die ökonomischen Fluchtursachen, an denen auch Deutschland beteiligt sei, anerkannt werden sollten und zu einem anderen Umgang mit Migranten führen sollten.
Rex Osa, Flüchtlingsaktivist aus Nigeria
Rex Oza: Ich habe mein Land verlassen und kam in Deutschland mit der Erwartung an, dass ich dort Schutz erhalte, da ich in meinem Land, in Nigeria, politisch verfolgt werde. Aber sechs Wochen in Deutschland haben mir gezeigt, wie man mit Schutzsuchen umgeht. Dieselben Probleme mit Korruption und zermürbender Bürokratie wie in Nigeria, bloß besser organisiert. Sechs Wochen nach meiner Ankunft in Deutschland wurde ich bereits abgelehnt und war mit Abschiebung konfrontiert. Als ich ankam, wurde ich gleich zu einer Anhörung geladen, ohne meine Rechte und Pflichten zu kennen. Es war keine Anhörung, sondern eher eine Art Tribunal, wo man gezwungen wird, zu sagen, was sie hören wollen. Es war mir sofort klar, dass die Entscheidung bereits feststand und dass sie bloß eine Rechtfertigung brauchten. Sie suchten nach Gründen, um mich abweisen zu können. Sechs Wochen später habe ich die Ablehnung erhalten. Ich habe Einspruch eingelegt und habe dann eine zweite Ablehnung erhalten, was bedeutete, dass ich abgeschoben würde. Ich habe dann überlegt: Entweder setze ich mich hin und schaue was passiert und warte darauf, dass die Polizei mich zur Abschiebung abholt, oder ich engagiere mich. Ich habe mich entschieden, weiter das zu tun, was ich zuhause schon getan hatte. Denn ich erwarte von einem europäischen Staat und von Deutschland mehr. Ich entschied, mich politisch zu engagieren. Ich habe angefangen, Veranstaltungen zu besuchen, wo ich mit anderen in Kontakt kam, meine Rechte kennenlernte und über meine Situation sprechen konnte. So kam ich auch in Kontakt mit zentralafrikanischen Flüchtlingsgruppen in Kontakt. So begann alles. Ich habe in meinem Land als Steuerbeamter gearbeitet, bevor ich nach Deutschland gekommen bin. Ich habe Bank- und Finanzwesen studiert und arbeitete für das Finanzministerium in der Steuerabteilung und habe das Land verlassen, weil ich politisch aktiv war. Ich wurde verfolgt, weil ich die Regierung kritisierte. Ich war sogar im Wahlkampf aktiv und als die Politiker unsere Erwartungen nicht erfüllt haben, haben wir uns gegen sie organisiert. Das war der Grund, warum ich mein Land verlassen musste.
Fabian Scheidler: Wie sind Sie hier politisch aktiv geworden? Was waren Ihre ersten Aktionen, um sich für Geflüchtete zu engagieren und sie zu organisieren?
Rex Osa: Ich hatte das Glück, in Hofgeismar in Kassel eine Konferenz zu besuchen. Ich habe dort Leute aus verschiedenen Teilen Deutschlands kennengelernt, Sozialarbeiter und politische Aktivisten. Ich war sehr wütend und habe meine Enttäuschung über den ganzen Prozess in Deutschland ausgedrückt und dass die sogenannte Demokratie nicht existiert, weil das, was ich innerhalb kurzer Zeit in Deutschland gesehen habe, zeigt, dass das System nicht fair ist. In der Veranstaltung waren auch Polizisten und Leute, die für das Bundesamt arbeiten, die wirklich wütend über meine Kritik waren. Ich traf dort eine Frau vom Flüchtlingsrat, die mir erzählte, dass sie afrikanische Aktivisten kennt. Sie hat mich an sie verwiesen. Die waren schon 15, 20 Jahre hier, und so habe ich Anschluss gefunden. Meine erste größere politische Aktion war allerdings der Anfang des Oury-Jalloh-Prozesses in Dessau. Das hat mich bestärkt. Denn dort habe ich die Brutalität des deutschen Staats gesehen und viele Aktivisten aus unterschiedlichen Bewegungen getroffen. Das war eine bewegende Woche und danach habe ich nicht mehr in Angst gelebt, weil ich wusste, dass ich etwas tun musst, um die Gesellschaft zu verändern.
Fabian Scheidler: [Deutsch]
Rex Osa: Das Asylrecht ist ständig verschärft worden. Für mich ist das nichts Neues und es gibt in dem Paket, das Sie ansprechen, nichts Überraschendes. Es ist immer das alte Spiel, Repression zu beschönigen und die Gesellschaft mit Worten zu täuschen. Das fängt damit an, dass man Menschen in Lagern isoliert, ob man das Anker-Zentren oder Lager nennt: Das ist alles dasselbe. Es gab Skandale, Lager wurden geschlossen und verlegt. Jetzt sehen wir, dass das ursprüngliche Lagersystem wiederbelebt wird, wo man Menschen in Massenunterkünften isoliert und ihnen keinen Zugang zur Gesellschaft gewährt, sodass sie sich nicht einmal über ihre Rechte informieren können. Die Verschärfung des Asylrechts ist also für uns nichts Neues. Wir kennen das und es wird nie anders sein; es ist immer dasselbe.
Fabian Scheidler: Erklären Sie uns bitte, was diese Anker-Zentren sind. Wie sind sie gestaltet und was sind die Bedingungen für Geflüchtete?
Rex Osa: Das Anker-Zentrum ist meiner Meinung nach nichts anderes als ein Lager, wo Hunderte Menschen zusammengesteckt und vom Rest der Gesellschaft isoliert und in absoluter, furchtbarer Angst gehalten werden. Denn das, was passiert, wie zum Beispiel in Barmbek, eines der größten Zentren, ist nicht neu. Die Menschen leben dort in Frust und Angst vor der Abschiebung. Sie wissen nicht, was morgen passiert. Sie haben keine Rechte. Die Rechte werden ihnen weggenommen. Und sie erleben Gewalt durch den Staat, sogar durch die Sicherheitskräfte inklusive Hightech-Kamera-Überwachung. Die Leute werden also in einer Art und Weise behandelt, wie man es von Konzentrationslagern kennt.
Fabian Scheidler: [Deutsch]
Rex Osa: Die Vorgänge in Libyen sind nicht neu. Das gab es schon früher. Bloß hat CNN die Gelegenheit gehabt, darüber zu berichten, wodurch es öffentlich wurde.
Fabian Scheidler: Was ist da passiert?
Rex Osa: Die Einsperrung von Flüchtenden in Libyen bedeutet Tod und mehr Sklaverei, da Menschen andere Wege finden müssen, um nach Europa zu gelangen. Egal wie streng die Regeln sind und wie viele Lager sie in den europäischen Grenzländern bauen, die Situation wird mehr Gewalt schaffen, mehr Versklavung, mehr Menschenrechtsverletzungen, was schon immer der Fall war. Das ist genau das, was passieren wird.
Fabian Scheidler: Jetzt gibt es auch neue Lager im Tschad.
Rex Osa: Schauen Sie sich das Zentrum der Internationalen Organisation für Migration in Agadez an. So ist es auch im Tschad. Es werden Lager gebaut, wo Menschen eingesperrt werden. Der Unterschied zu früher ist, dass Menschen, die im Norden aufgefangen werden, in das Zentrum in Agadez gebracht werden und von dort erst in ihre Heimatländer geschickt werden. Die europäische Union versucht, Menschen, die Schutzansprüche haben, von afrikanischen Regierungen an der Weiterreise zu hindern. Der gleiche Vorgang wie damals während der Libyenkrise, nach Gaddafis Tod, wo Menschen in das Flüchtlingslager Choucha in Tunesien verbracht wurden. Wir wissen, dass die Menschenrechtsstandards in Libyen sehr schlecht sind und dass die EU nur daran interessiert ist, die Flüchtenden aufzuhalten. Es ist ein Scheinlösung, ein Wegschieben der Krise nach Afrika. Es ist so, als ob man das Gesicht der europäischen Aggression verdeckt und afrikanische Regierungen gegen Afrikaner einsetzt.
Fabian Scheidler: [Deutsch]
Rex Osa: Nicht nur die Kriminalisierung der Seenotrettung ist ein Skandal. Schauen Sie sich an, was mit Flüchtlingen in deutschen Lagern passiert. Zum Beispiel Donauwörth, Erlangen, Schweinfurt oder Donaueschingen. Es gibt nun Gerichtsprozesse zu Rechtsbrüchen, aber man erfährt darüber nichts in der Öffentlichkeit. Vor einiger Zeit ging es dabei um Geflüchtete, die in Gefängnisse eingesperrt wurden, nur weil sie gegen die Abschiebung eines Kollegen aus Donaueschingen protestiert haben. Im letzten Monat haben wir den Prozess der Erlangen-Flüchtlinge erlebt. Dort passierte ähnliches. In Donauwörth fängt ein Prozess im November an. Dort wurden 30 Geflüchtete festgenommen, nur weil sie sich solidarisiert haben, um eine Abschiebung zu verhindern. Sie haben nicht einmal die Abschiebung verhindert, sie waren bloß sauer, dass die Polizei an jede Tür geklopft hat, weil derjenige, der abgeschoben werden sollte, nicht in seinem Zimmer war. Auch politisch Aktive werden kriminalisiert. Die Seenotrettung ist ein Teil der Kriminalisierung von Flüchtlingen in Deutschland insgesamt und aller, die ihnen helfen. Die Geflüchteten sind sehr verzweifelt. Sie haben keine Alternative, weil sie nicht dahin zurück können, wo sie bedroht werden, wo ihr Leben in Gefahr ist. Daher sind einige sogar bereit, eher hier im Gefängnis zu bleiben als in ihre Länder abgeschoben zu werden. Die Menschen in diesen Lagern, den Anker-Zentren verstehen, dass sie morgen selber an der Reihe sind. Deshalb organisieren sie sich. Die Regierung sollte das begreifen. Es ist noch nicht zu Zusammenstößen mit der Polizei gekommen. Das sollte vermieden werden.
Fabian Scheidler: [Deutsch]
Rex Osa: Im Mai 2018 habe ich eine Verbindung hergestellt zu Nigeria gegründet, um das Engagement auszuweiten. Ich war in den letzten vier Jahren auch in Mali, in Niger, in Unganda, in Togo und in Ghana, um zu versuchen, mit den Aktivisten vor Ort zusammenzuarbeiten, weil es viele Dinge gibt, die wir hier tun, die dort nicht bekannt sind und dort Dinge geschehen, über die wir hier nichts wissen. Es ist auch beschämend, dass ich in Europa aktiv bin und keine Informationen darüber bekomme, was Aktivisten in meiner Heimatregion in Afrika machen. Deshalb habe ich beschlossen, eine engere Verbindung herzustellen. Nigeria zum Beispiel ist eines der wichtigsten Länder, wenn es um Migration von Menschen in Westafrika geht. Aber der Blick ist meist verengt, es geht vor allem um Tod und Krankheit, Tod in der Wüste, Sklaverei in Libyen. Wir brauchen eine breitere Diskussion über Migration. Deshalb versuchen wir das in Nigeria zu organisieren. Im Mai haben wir einen „Migration Information Point“ eingerichtet. Unser Anliegen ist, die, die nach Afrika abgeschoben wurden, anzusprechen, um darüber zu berichten, wie Europa wirklich ist. Nicht um Leute davon abzubringen, herzukommen, sondern um sie über die Realität in Europa zu informieren. Nicht nur über Leid und Isolation, sondern auch über den Kampf der Migranten und Geflüchteten, der Europa und die deutsche Gesellschaft verändert hat. Es geht auch darum klarzumachen, dass es nicht nur um Geldrücküberweisungen, die Entwicklung der eigenen Ländern geht, sondern was wir zur Gesellschaft hier beitragen. Das ist das Anliegen des Migration Information Points: einen nachhaltigen Dialog und Austausch zu ermöglichen, um eine globale Debatte über den Global Compact und ähnliches anzustoßen, über Ländergrenzen hinweg. Wir wollen die Menschen informieren und sie befähigen, sich in Sachen Migration selbst zu organisieren, nicht nur auf der Ebene der Regierungen und der großen NGOs.
Fabian Scheidler: Sie haben bereits den Tod Oury Jallohs angesprochen. Erklären Sie bitte denjenigen, die nicht mit dem Fall vertraut sind, was dort in Dessau passiert ist, als Oury Jalloh starb, und warum dieser Fall noch nicht aufgeklärt ist.
Rex Osa: Oury Jalloh war ein Geflüchteter aus Guinea und Sierra Leone, der in seiner Polizeizelle in Dessau verbrannte. Die Frage, die offen bleibt, ist, wie jemand in eine Polizeizelle verbrennen kann, während wir wissen, dass eine Polizeizelle der sicherste Ort in diesem Land ist. In einer Polizeizelle wird man ständig beobachtet. Alle 15 Minuten kommt jemand vorbei, um zu schauen, was los ist. Dass nach 40 Minuten oder mehr jemand in seiner Zelle verbrennen kann, dem seine Hände und Füße mit Handschellen ans Bett gefesselt sind ist kaum glaubwürdig. Es gibt da viele Ungereimtheiten. Es ist beschämend, dass der deutsche Staat über zehn Jahre hinweg die Misshandlungen nicht aufklären will. Wir haben mehrfach gesagt, dass Oury Jalloh sich nicht selbst verbrannt haben kann, weil das unmöglich war. Die Frage ist also: Wer war’s? Es gab eine Reihe von Untersuchungen, die klar machen, dass ein Dritter involviert gewesen sein muss. Die Justiz in Deutschland hat zudem die Faktenlage verdreht, weil sie offensichtlich die Polizei schützen und verteidigen möchte, egal was die Polizei tut. Wenn man von der Polizei beschuldigt wird, ist man meist auf der Verliererseite. Das Beste, was man erreichen kann, ist, dass die Anklage fallengelassen wird.
Fabian Scheidler: Der deutsche Staat hat keine sorgfältige Untersuchung vorgenommen, ob Oury Jalloh sich selber hätte anzünden können. Ich glaube, eine Untersuchung durch ein kriminologisches Institut in London war notwendig, um zu zeigen, dass das unmöglich war.
Rex Osa: Es hat viele Jahre gebraucht, um den deutschen Staat zu bewegen, die tatsächliche Todesursache zu untersuchen. Es gab auch Untersuchungen durch den deutschen Staat. Aber die Untersuchung war sehr einseitig, weshalb die Oury-Jalloh-Initiative weitere Beweise außerhalb Deutschlands besorgen musste, um zu zeigen, dass eine andere Person in Oury Jallohs Tod involviert gewesen sein muss. Diese Initiative war erfolgreich insofern, als sich das Gericht wieder mit dem Fall beschäftigen musste. Es zeigt aber auch, wie der deutsche Staat bemüht gewesen ist, die Sache unter den Teppich zu kehren, mit ständigen Ausreden, was ein Riesenskandal ist.
Fabian Scheidler: Was sind Ihre Schlüsselforderungen gegenüber der deutschen und den europäischen Regierungen in Bezug auf Flüchtlingsrechte und Migration?
Rex Osa: Die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951, die das Recht auf Asyl bis heute definiert, ist veraltet. Wir brauchen eine modernisierte Version. Die ökonomischen Fluchtursachen, an denen auch Deutschland beteiligt ist, sollten anerkannt werden und zu einem anderen Umgang mit Migranten führen. Sogenannte Arbeitsmigranten werden weiter wie Niemande behandelt. Deutschland bietet ihnen keinerlei Perspektive. So landen sie letztlich in der Asylfalle. Ihr Leben wird ständig kontrolliert. Sie werden in Frustration gehalten, unter massive Beobachtung gestellt. Wir sagen, dass die Bewegungsfreiheit ein Recht aller ist. Wenn man sich die Vergangenheit ansieht, vor 40 oder 50 Jahren, kamen Leute hierher und gingen auch wieder. Heute ist die Rückkehr versperrt, denn ihnen ist dann die Einreise später nicht mehr möglich ist. Das ist genau das Problem. Wenn Menschen die Möglichkeit haben, wieder einzureisen, würde niemand hier bleiben wollen, weil das eigene Land, die Heimat immer etwas Besonderes ist. Die Migranten vermissen ihr Land. Aber wenn sie keine Alternative haben, dann werden sie versuchen zu bleiben. Die Bewegungsfreiheit ist daher zentral, damit dieser fatale Prozess gestoppt werden kann.