02.12.2016
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Introduction: 

The war in Syria is complicated, says Bennis. “It is actually at least ten or maybe eleven separate wars, depending on how you count”. That would make it harder compared to other wars “to understand it, to build the kind of opposition that is necessary to push governments, to stop their current style of sending troops to ‘their side’ and then talk about diplomacy, but keeping all the attention, all the money on the military side”. The IS was born in U.S. torture prisons in Iraq. That motivated Sunni generals and tribal leaders angry about the U.S. occupation to joint the Islamist group. “They saw ISIS as a way to fight back.” The IS alone has only a few thousand fighters with not very good weapons. But they get support from many people in the region. That makes them strong.

Guests: 

Phyllis Bennis, Institute for Policy Studies, Washington D.C.

Transcript: 

David Goeßmann: Willkommen bei Kontext TV. Wir befinden uns beim Weltkongress des International Peace Bureau an der Technischen Universität Berlin. Unser Gast heute ist Phyllis Bennis. Phyllis Bennis ist leitende Wissenschaftlerin am Institute for Policy Studies in Washington D.C. und eine anerkannte Expertin für den Nahen Osten. Sie hat mehrere Bücher veröffentlicht. Willkommen bei Kontext TV, Phyllis Bennis.

Phyllis Bennis: Vielen Dank für die Einladung.

David Goeßmann: Ihr neuestes Buch trägt den Titel „Der IS und der weltweite Krieg gegen den Terror“. Welche Bedeutung hat der IS und der Krieg gegen den Terror?

Phyllis Bennis: Ich habe in dem Buch versucht, für diejenigen Hintergründe zu liefern, die versuchen, die extrem komplizierte Gemengelage an Kriegen einerseits zu verstehen und andererseits Widerstand dagegen aufzubauen. Das ist nicht einfach im Sinne wie etwa der Vietnamkrieg „einfach“ war. Man konnte den Krieg damals verstehen. Viele haben die vietnamesische Seite unterstützt und sich gegen die USA gestellt. Viele Amerikaner haben gesagt: Wir sollten keine Truppen dahin schicken. Holt die Soldaten nach Hause. So schwierig der Vietnamkrieg auch zu beenden war, im Kern war er „simpel“. Doch die Kriege heute sind viel komplexer und verwobener. Der Krieg in Syrien besteht zum Beispiel aus mindestens 10 bis 11 separaten Kriegen, je nachdem, wie man zählt. Das macht es schwieriger, den Durchblick zu bewahren, die Stimme zu erheben und politischen Druck auf die Regierungen auszuüben, um sie daran zu hindern, weiter Truppen für „ihrer Seite“ zu mobilisieren und die Diplomatie zu vernachlässigen, während die ganze Aufmerksamkeit und das Geld aufs Militär gelenkt wird! Das ist die Ironie: Die USA sprechen vom „Krieg gegen den Terror“. Seit 15 Jahren dauert dieser Krieg an. Aber der Terrorismus floriert. Die Menschen, Städte und Staaten, wo der Krieg stattfindet, leiden darunter. Es kann einfach nicht so weiter gehen.

David Goeßmann: Sprechen wir zuerst über den IS. Wie stark ist er momentan? Wie kann der IS besiegt werden, ohne dass sich daraus etwas noch Schlimmeres entwickelt?

Phyllis Bennis: Treten wir einen Schritt zurück, um zu verstehen, was der IS ist und was seine Stärke ausmacht. Sie sind stark, weil sie nicht alleine kämpfen. Der IS bestehe zwar nur aus ein paar tausend Kämpfern, ausgestattet mit nicht sehr guten Waffen. Sie haben zwar viele davon, aber z.B. keine Luftstreitkräfte, keine modernen Kampfjets oder Granatwerfer. Sie brauchen diese militärische Ausrüstung auch nicht, denn sie operieren nicht alleine, wie man es von Terroristen eigentlich gewohnt ist, die Dinge in die Luft jagen. Sie haben Unterstützung. Schauen wir in den Irak. Der IS entstand dort im Jahr 2004. Er wurde in den Foltergefängnissen gezeugt, die während der Besatzung von den USA dort errichtet und in denen zehntausende Iraker unter schrecklichen Umständen gefangen genommen wurden. Die Gefolterten und Gedemütigten bildeten den Nährboden, aus dem sich die Vorgängerorganisation des IS bildete. Es war eine Art Widerstandsbewegung gegen die US-Besatzung, die einige Zyklen durchlief. Sie wurde mal größer, dann wieder kleiner. 2011, 2012 wuchs sie an, nach einer Phase des Schrumpfens war die Organisation schlagartig wieder da. Sie funktionierten jetzt anders, der religiöse Rahmen hatte sich geändert. Der IS schwappte schließlich vom Irak nach Syrien über. Was waren die Gründe für den Zuwachs und Zuspruch? Für manche im Irak war der IS schlicht das kleinere Übel. So schrecklich, gewalttätig und extrem der IS auch ist — eine entsetzliche Terror-Organisation, die Hölle für die Menschen vor Ort — sie lehrt uns etwas: Manche Iraker haben nach der US-Invasion in ihrem Land keinen Platz mehr für sich gesehen, darunter vor allem die entlassenen sunnitische Generäle der irakischen Armee nach dem Sturz der Regierung. Der IS bot ihnen einen Weg, sich zu wehren. Sie mochten den IS zwar nicht, da sie sehr weltlich ausgerichtet sind. Sie trinken, rauchen usw. Aber der IS bot ihnen eine Plattform für ihren Kampf. Also gingen sie mit ihrem Wissen und ihren Waffen zum IS. Ebenso dachten einige sunnitische Stammesführer. Sie sagten: „Wisst ihr was? Die IS-Leute können uns vor der schrecklichen schiitischen Regierung schützen, die von den USA ausgerüstet, finanziert und diplomatisch unterstützt wird. Das sind die eigentlichen Unterdrücker. Sie verfolgen unsere jungen Männer und sperren sie ein. Sie foltern sie im Gefängnis. Sie erschießen Sunniten auf offener Straße. Wir stehen an der Seite des IS.“ So wurde aus dem IS so etwas wie eine Schutzmacht der Sunniten. Obwohl die meisten Sunniten sicherlich nicht einverstanden sind mit dem, was der IS tut. Das zeigt uns, dass man die Bedrohung, die der IS darstellt, nicht losgelöst betrachten kann. Es ist im Übrigen eine Bedrohung, die viel größer für die Menschen vor Ort ist, als für die in den USA oder Europa. Die Geburt und Stärke des IS ist eng dabei gekoppelt an den Widerstand gegenüber jenen Regierungen, die wir eingesetzt haben. Das sind nun aber Dinge, die wir ändern könnten. Wir müssen beginnen, die tieferen Ursachen in den Blick zu nehmen.