19.05.2011
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Introduction: 

Eine gemeinsame Währung braucht eine gemeinsame Lohnpolitik in Europa anstelle einer Spirale der Konkurrenz nach unten. Doch die deutsche Politik der Lohnzurückhaltung und der Niedriglöhne hat hiesige Exporte billiger gemacht und Länder wie Griechenland an die Wand gedrängt. Mit den Sparpaketen für Griechenland und andere Krisenländer sollen nun auch dort Löhne massiv gesenkt werden. Die Folge: Eine europaweite Deflation und womöglich das Auseinanderbrechen des Euroraums und der EU, warnt Heiner Flassbeck.

Guests: 

Heiner Flassbeck: Chefökonom der UN-Organisation für Welthandel und Entwicklung (UNCTAD) in Genf

Transcript: 

David Goeßmann: In Deutschland wird oft die Misswirtschaft in südeuropäischen Ländern, zum Beispiel in Griechenland, für die Krise verantwortlich gemacht. Die Bild-Zeitung etwa führte eine Kampagne gegen die angeblich faulen Griechen und wetterte: "Verkauft doch eure Inseln, ihr Pleitegriechen!" Was sind in Ihrer Sicht die strukturellen Ursachen der Griechenlandkrise und anderer Staatskrisen in der europäischen Union?

Heiner Flassbeck: Es gibt hier nicht eine Krise Griechenlands oder einiger kleiner Länder in Südeuropa, es gibt eine Systemkrise in der Eurozone, das haben leider sehr wenige verstanden bisher. Es gibt eine Systemkrise in der Eurozone, die dadurch ausgelöst wurde, dass einige Länder massiv über ihre Verhältnisse gelebt haben und ein großes Land massiv unter seinen Verhältnissen gelebt hat. Das war alles gegen die Regeln der europäischen Währungsunion, weil die Währungsunion hatte sich ja ein Ziel gegeben, wie man leben soll; und dieses Ziel hieß: eine Inflationsrate von zwei Prozent sollte erzielt werden, nicht null Prozent, sondern zwei Prozent. Und das heißt, dass man dann auch mit seinen Löhnen vor Allem zwei Prozent über der nationalen Produktivität liegen muss; also die Nominallöhne in jedem Land sollten dementsprechend  um zwei Prozent über der Produktivität liegen. Die liegen in Griechenland um 2,6, in Deutschland haben sie aber um 0,3 darüber gelegen; also Deutschland hat mehr sozusagen gegen diese einheitliche und dieses gemeinsam verabschiedete Ziel verstoßen, als die südeuropäischen Länder. Insofern ist es absolut Volksverhetzung, das kann man ja schon sagen, wenn so tut, als seien nur die Griechen schuld und die Südeuropäer und als habe Deutschland mit diesem Problem nichts zu tun. Die Folge dessen sehen wir ja, die Folge dessen ist, dass wir in vielen europäischen Ländern eine massive politische Verschiebung haben, wir haben eine Verschiebung hin zu Nationalismus; die Einen werden sozusagen nationalistisch, weil sie sich von den anderen betrogen fühlen, und die Anderen werden nationalistisch, weil sie sich von denen, die im Norden ihnen ihre Lebensverhältnisse diktieren wollen, auch nicht gerecht behandelt fühlen, das ist eine unglaublich gefährliche Entwicklung; ich sehe Europa in höchster Gefahr, aber bisher hat es die deutsche Politik nicht geschafft, noch nicht mal im Ansatz, den Menschen das eigentliche Systemproblem in Europa zu erklären.

Fabian Scheidler: Vielleicht können Sie es ja unseren Zuschauern noch einmal erklären, wie der Zusammenhang zwischen der Lohnzurückhaltung in Deutschland und den Problemen anderer Ländern ist. Wer zahlt die Zeche dafür, dass Deutschland Exportweltmeister ist?

Heiner Flassbeck: Nun, das ist ganz einfach; wenn man eine Währungsunion angeht, also eine Union, in der kein nationales Geld mehr existiert, dann muss man sich, ich sagte schon, auf eine einheitliche Zielinflationsrate, auf eine Inflationsrate einigen, die man gemeinsam erreichen will, die alle Länder erreichen wollen; und zwar nicht nur zu einem bestimmten Zeitpunkt, sondern praktisch in die Ewigkeit, solange man dieses Geld aufrecht erhalten will. Nur dann kann diese Währungsunion funktionieren, wenn sie das nicht tut, wenn man in Deutschland nur 0,3 Prozent Zuwachsrate in Lohstückkosten hat, in Griechenland 2,6, in Portugal 2,8 oder so, dann bedeutet das, dass über zehn Jahre gerechnet, die Kosten in Deutschland extrem niedrig sind im Vergleich zu den südeuropäischen Ländern, die Preise auch sinken, weil die Unternehmen das in den Preisen weitergeben; und dann können die deutschen Unternehmen natürlich massiv Marktanteile gewinnen, sie können die Märkte abräumen, sie können die anderen Länder, die Produzenten in anderen Ländern von den Märkten verdrängen. Und an diesem Beispiel sieht man schon, das hat aber dann nichts mit nationaler Produktivität, oder wie man sagt in Deutschland, mit Wettbewerbsfähigkeit zu tun, also unserer Tüchtigkeit sozusagen, nein, das hat nur damit zu tun, dass in Deutschland die Politik mit den Gewerkschaften zusammen, aber auch mit Druck auf die Gewerkschaften, dafür gesorgt haben, dass die Löhne nicht mehr gestiegen sind.

David Goeßmann: Der internationale Währungsfonds und die EU haben Griechenland im Rahmen der sogenannten Rettungsschirme ein rigoroses Sparpaket auferlegt. Wie bewerten Sie diese Sparpolitik und was sind die Ergebnisse davon?

Heiner Flassbeck: Nun, man sieht jetzt ja schon in Griechenland, dass es so nicht funktioniert. Griechenland ist weiter in einer Rezession, in einer schweren Rezession, die letzten Schätzungen sagen, minus drei Prozent, nach minus vier Komma irgendwas Prozent im vergangenen Jahr, das ist eine Katastrophe, man muss sich das in Deutschland vorstellen, Deutschland hatte minus 5,6 und war dann extrem glücklich, euphorisiert sozusagen von seinem Aufschwung mit 3,5; also wenn wir eine weitere Rezession gehabt hätten, wäre in Deutschland die Welt untergegangen. Und das muten wir jetzt einfach den Griechen mal zu und sagen: >Das muss jetzt sein, da geht kein Weg dran vorbei, das müsst ihr machen, damit kommt ihr raus aus der Misere<. Und damit kommen sie aber nicht raus aus der Misere, wenn nicht gleichzeitig auch das starke Land, das Überschussland, Deutschland, dass diese Länder auf seinen Märkten eine Chance haben; und das würde bedeuten, in Deutschland müssten die Löhne kräftig steigen, jedenfalls wesentlich deutlicher als in den letzten zehn Jahren. In Griechenland dürfen sie ein wenig weniger steigen und müssen nicht wie jetzt radikal gekürzt werden. Und dann hätte man eine Chance, sagen wir über zehn, fünfzehn Jahre aus dieser Misere herauszukommen und die europäische Währungsunion zu retten. Da man das alles nicht tut, ist jetzt die wahrscheinlichste Variante, dass die ganze europäische Währungsunion in eine Deflation geht, weil sie alle die Löhne kürzen und Deutschland seine Löhne immer noch nicht deutlich erhöht; überall sinken die Lohnstückkosten und das bedeutet, dass wir früher oder später in eine Deflation gehen, das ist jetzt im Moment ein bisschen überlagert von dieser Rohstoffspekulation, aber das wird nicht mehr solange anhalten.