Die gefährlichen Lügen von Paris
Die Anschläge in Paris sind ein Geschenk für eine Neuauflage des „War on Terror“. Die Auswirkungen und Reaktionen sind allzu bekannt: Bombardements und Vergeltungsschläge ohne Beachtung der Opfer und Nebeneffekte, Planung weiterer "militärischer Lösungen“, verschärfte Grenzkontrollen, Aushebelung von Bürgerrechten und Hochrüstung der Sicherheitsapparate. (1)
Anschläge vs. Klimagipfel
Die Pariser Anschläge haben noch einen anderen nützlichen Effekt für diejenigen, die nicht gerne an ihre Verantwortung bzw. Verantwortungslosigkeit erinnert werden wollen. Der Klimagerechtigkeitsbewegung, die anlässlich des Klimagipfels in Paris mobilisiert hatte, konnte ein wichtiges Forum versagt werden. So wurden alle Klima-Demonstrationen und Proteste in Paris und Frankreich von der französischen Polizei untersagt – wegen allgemeiner Sicherheitsrisiken. Die Pariser Weihnachtmärkte dürfen hingegen stattfinden. In der Taz erfahren wir, dass „das traumatisierte Paris derzeit erst einmal Ruhe braucht“, daher „wäre eine laute, bunte Demo vielleicht auch das falsche Zeichen“.
Allein zum Demonstrationsmarsch am 29. November erwarteten die Organisatoren 400.000 Menschen aus der ganzen Welt. Der französische Organisator und Aktivist Nicolas Haeringer von 350.org sagte, "Die Regierung kann Demonstrationen verbieten, aber sie kann uns nicht zum Schweigen bringen. Es wird nun schwierig, unsere Pläne umzusetzen. Aber wir werden einen Weg finden, den Ruf nach Klimagerechtigkeit zu Gehör zu bringen". 20.000 Paar Schuhe wurden stattdessen als symbolische Geste am Platz der Republik in Paris aufgestellt. Über 683.000 Menchen nahmen jedoch an Klimamärschen in Sao Paolo, Syndey, London oder Berlin letzten Sonntag teil, Millionen kamen weltweit an über 2500 Klimaveranstaltungen zusammen. Es war die bisher größte Klimaaktion in der Geschichte der Klimabewegung. Die Süddeutsche Zeitung reservierte für die Proteste ( "Zehntausende für den Klimaschutz") ein paar Zeilen auf Seite 7. Die Tagesthemen berichteten am Sonntag in der Mitte der Sendung zwei Minuten über die Schuhaktion in Paris. Die Hamburger Abwahl für die Olympiabewerbung und das Treffen der EU-Staaten mit dem türkischen Ministerpräsidenten über die Flüchtlingsfrage waren wichtiger.
Kontext TV wird vom 8. bis 12. Dezember in Paris sein und von den Verhandlungen und der Klimabewegung berichten. Die UNFCCC hat Kontext TV nicht für den Verhandlungsort akkreditiert, ohne eine Begründung zu liefern. Wir haben Beschwerde dagegen eingelegt, eine Antwort haben wir bisher vom UN-Sekretariat nicht erhalten. Die UN-Verwaltung sollte sich an Resolution 2222 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen erinnern, die dieses Jahr verabschiedet wurde. Dort heißt es, "that the work of a free, independent and impartial media constitutes one of the essential foundations of a democratic society" (die Arbeit von freien, unabhängigen und unparteiischen Medien ist eine der notwendigen Voraussetzungen für eine demokratische Gesellschaft). Zugang zur COP 21, der „Conference Of the Parties“, erhalten hingegen die großen kommerziellen Mainstreammedien, die der fossilen Brennstoff-, Auto- oder Luftfahrtindustrie in ihren Artikeln und auf ihren Werbeflächen täglich eine Plattform bereitstellen. Diese Unternehmen können in den kommerziellen Medien ihre Sicht der Dinge und Greenwashing-Kampagnen meist ungestört verbreiten. Und wieder sind die Verursacher des Klimawandels zugleich Sponsoren des Pariser Klimagipfels, darunter Renault-Nissan, Air France oder BNP Paribas.
Was immer man von dem UN-Klimagipfel politisch hält, einen Vorteil bietet er: Öffentlichkeit für Forderungen nach echtem Klimaschutz und Klimagerechtigkeit. Und in dieser Hinsicht sind die Anschläge in Paris ein weiteres Geschenk für USA, EU, Australien, Japan & Co. Die Berichterstattung über Klimaschutz wurde schon im Vorfeld von dem Mega-Thema „Anschläge“ und „Terror“ in Paris verdrängt. Während der zweiwöchigen Verhandlungen werden einige, vielleicht viele Sendeplätze, Nachrichten, Schlagzeilen und Artikel eben nicht mit Berichten, Reportagen und Kommentaren zum Klimaschutz gefüllt. Was dabei am ehesten wegzufallen droht, ist das, was außerhalb der Verhandlungen, die von den Industrienationen dominiert werden, geschieht und gedacht wird, das „Klima-Gedöns“: also Stimmen aus den Entwicklungsländern, von Klimaaktivisten, kritischen Analysten und Forschern. So wurde eine investigative Geschichte über die deutschen Klimafinanzierungstricks bei einem ARD-Politmagazin kurzfristig fallen gelassen. Der Bericht war für den Sendetermin während des Pariser Klimagipfels vorgesehen. Der zuständige Redakteur sagte kurzfristig ab, obwohl die Geschichte mehr oder weniger ausrecherchiert war. Begründung: Die Pariser Anschläge würden nun ins Programm gehoben.
Die Anschläge machen es den Hochemittentenstaaten in den Nordamerika und Europa leichter, die Öffentlichkeit bei den Klimaverhandlungen zu besetzen, unangenehme Analysen und Forderungen als irrelevante Träumereien beiseite zu schieben und ihre Sicht während des Gipfels zu verbreiten. Benötigt wird jedoch eine Berichterstattung, die den Bürgern erklärt und verständlich macht, was bei der COP 21 in Paris abläuft und was getan werden müsste.
„Not fit to print“: Wer darf noch wieviel Kohlenstoff in der Atmosphäre parken?
Klimaschutz basiert auf einer Reihe von Zahlen. Wer Klimaschutzpolitik verstehen, kritisieren und die Verantwortlichen an ihre Verantwortung erinnern will, muss wissen, was hinter Budgets, Prozentzahlen usw. steht. Die Zahlen sind nämlich der Ort, an dem die Mächtigen tricksen und lügen. Es ist damit zugleich auch ihre Achillesferse. Die politischen Eliten wissen jedoch, dass die meisten Journalisten ungern rechnen, Studien nachprüfen und Fußnoten checken. Die Verursacher-Regierungen legen zudem jede Menge Hürden in den Weg, verzerren die Ergebnisse der Klimaforschung und lassen Unangenehmes schlicht weg.
Einer der am weitesten verbreitete Artikel zum Thema Klima ist der investigative Bericht des US-amerikanischen Klimajournalisten und -aktivisten Bill McKibben im „Rolling Stone“-Magazin von 2012. Der Titel des Artikels lautete nicht umsonst: „Global Warming's Terrifying New Math. Three simple numbers that add up to global catastrophe - and that make clear who the real enemy is” (2) (Die erschreckende, neue Rechnung der Erderwärmung. Drei schlichte Zahlen, die zur globalen Katastrophe führen – und klar machen, wer der wirkliche Feind ist). McKibben zeigte darin auf, dass das von Wissenschaftlern berechnete Globalbudget an Treibhausgasemissionen, das uns gemäß des 2-Grad-Ziels noch zur Verfügung steht, zur Folge hat, dass nur noch ein kleiner Teil der förderbaren Gas-, Kohle- und Ölvorräte über den Boden kommen und verbrannt werden darf. Eine aktuelle Studie zeigt nun, dass rund 80 Prozent der Kohle, ein Drittel des Öls und die Hälfte des Erdgases nicht mehr verbrannt werden dürfen. (3) Daraus folgt, dass die Unternehmen der fossilen Brennstoffindustrie, viele von ihnen in den Industrienationen beheimatet, „stranded assets“ in Billionenhöhe in ihren Büchern haben und überbewertet sind. Das ist das, was heute mit „carbon bubble“ bezeichnet wird, also eine „Kohlenstoffblase“, die platzen würde, wenn aus dem 2-Grad-Ziel Taten folgten. Selbst die Bank of England, Goldman Sachs und die EZB sind alarmiert. Sie werden das, was in Paris vereinbart wird, ebenso wie die fossile Brennstoffindustrie sehr genau verfolgen. Vattenfall, Exxon, BP, VW usw. sehen ihr Geschäftsmodell in Frage gestellt. Und das, und nicht der Klimawandel, erzeugte Unruhe selbst beim letzten Weltwirtschaftsgipfel in Davos.
Daran schließt sich eine zentrale Frage an: Wie teilen wir diese sehr eingeschränkte Nutzung von Öl, Kohle und Gas und die daraus entstehenden Emissionen auf? Wieviel dürfen die einzelnen Länder bzw. Ländergruppen (Industrienationen vs. Entwicklungsländer) noch an CO-2-Emissionen in die Atmosphäre ausstoßen? Der Skandal ist: Darum wird es in Paris wieder einmal nicht gehen. Die mächtigen Industrienationen blocken diese Frage seit den ersten Verhandlungen zum Klimaschutz ab, aus gutem Grund. Es wird ausschließlich darum gehen, was die Staaten gemäß ihren selbst gesteckten Klimazielen beabsichtigen zu emittieren. Darüber darf gefeilscht werden. Ob das ihrem fairen Anteil innerhalb des 2-Grad-Ziels entspricht, steht nicht auf der Agenda. Die Mainstreammedien spielen mit und akzeptieren das Narrativ des Feilschens im luftleeren Raum. Damit wird die Verantwortung und Verpflichtung der Industrienationen, durch radikale Emissionsminderungen eine gefährliche Erderwärmung zu verhindern, einfach übergangen bzw. ins Vage gerückt.
„Fair Shares“: Klimaschurken reisen nach Paris
Über 170 Staaten haben bereits im Vorfeld des Pariser Klimagipfels ihre sogenannten „Intended Nationally Determined Contributions“ (INDCs) (beabsichtigte nationale Beiträge) vorgelegt. Alles zusammen genommen, je nach Berechnung und Auslegung der einzelnen Zusagen und Maßnahmen, ergibt sich eine Emissionsmenge, die weit über dem liegt, was mit einem 2 Grad Ziel vereinbar wäre. Diverse Studien haben die INDCs untersucht, von „Carbon Action Tracker“, über den „UNEP Emissions Gap Report“ oder Berechnungen des Massachussetts Institute of Technology (MIT). Mit den derzeitigen Angeboten wird es danach zu einer Erderwärmung von 2,7 bis 3,7 Grad Celsius in diesem Jahrhundert kommen. Man sollte beachten, dass diese Szenarien eine Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent voraussetzen. Die Chance, dass sich die Erde angesichts der intendierten Klimaziele der Staaten auf 2,7 bis 3,7 Grad Celsius erhöht, ist also 50:50. Die Temperaturszenarien sind konservative Berechnungen, die nicht einmal an der „likely“- Wahrscheinlichkeit orientiert sind, die in den internationalen Klimavereinbarungen zum 2 Grad Ziel vereinbart wurde. Sie sind verbunden mit nicht unbeträchtlichen Risiken, dass sich die Erde noch weit stärker erwärmt. (4)
Eine Untersuchung von diversen Nichtregierungsorganisationen mit dem Titel „Fair Shares“ (Faire Anteile), die am Rande der Bonner Vorverhandlungen für den Pariser Klimagipfel im Oktober 2015 veröffentlicht wurde, und an zahlreiche andere Studien und Berechnungen anschließt, insbesondere des „Stockholm Environment Instituts“, hat die INDCs der Länder bewertet. Dabei wurden nach konservativen Fairness-Kriterien Emissionsbudgets auf die einzelnen Länder bzw. Ländergruppen aufgeteilt, je nachdem, welche Menge an Treibhausgasen sie seit 1950 bereits emittiert haben und wie ihre technologischen und ökonomischen Möglichkeiten sind. Danach haben die USA und die EU ihren fairen Anteil an Emissionsreduktionen nur zu einem Fünftel erfüllt. Die großen Industrienationen beabsichtigen also das ihnen zustehende Emissionsbudget um das Fünffache zu überziehen. Fast alle Entwicklungsstaaten hingegen übererfüllen mit ihren Klimazielen sogar die Anforderungen, gemessen an dem, was ihnen noch zusteht. Auch China und Indien kürzen stärker als sie müssten. Die Taz berichtete darüber, sonst keiner. Auch in der Vergangenheit ist das deutsche Publikum von seinen Medien mit Diskussionen um eine faire Verteilung des Emissionsbudgets in Ruhe gelassen worden. Klimagerechtigkeit ist kein Thema in den Mainstreammedien. (5)
Aus den aktuellen Zahlen ergibt sich für die Verhandlungen: Die Industrienationen, die zu großen Teilen verantwortlich sind für den Klimawandel und die Schädigung der Atmosphäre, sind weiterhin nicht bereit, ihren Verpflichtungen und ihrer Verantwortung auch nur ansatzweise nachzukommen. Nicht die Entwicklungs- und Schwellenländer sind in Paris am Zug, die jetzige Reduktionslücke zu schließen, sondern die Hauptverschmutzer. Doch wir werden wieder zu hören bekommen, dass Schwellenländer wie China und Indien nicht aus ihrer Verantwortung entlassen werden können, auch wenn sie ihren fair share übererfüllen. Schauen wir uns die Realität genauer an. China hatte 2013 einen jährlichen Pro-Kopf-Verbrauch von 5,7 tCO2e (Tonnen Kohlendioxid-Äquivalente), Indien einen von 1,5 tCO2e, Deutschland einen von 12 tCO2e und die USA landen bei 18 tCO2e, wenn die Emissionstransfers eingerechnet werden (dazu unten mehr). Hinzu kommen die enormen historischen Emissionen der Industrieländer. Man sollte auch bedenken, dass es in China zwar industrialisierte Zentren mit begrenzten Wohlstandsschichten gibt, aber viele Chinesen leben wie in anderen Entwicklungsländern in bitterer Armut. Nach Weltbank-Angaben für das Jahr 2010 haben 150 Millionen Chinesen weniger als 1,9 Dollar am Tag zur Verfügung. Auch ist das Argument, dass China heute mehr als ein Viertel der weltweiten Treibhausgase emittiere und Staaten wie Frankreich, Deutschland oder Großbritannien nur wenig zur Klimakrise beitrügen, intellektuell armselig. Der britische Klimawissenschaftler Kevin Anderson bringt es auf den Punkt, wenn er schreibt, dass “das Argument, dass Großbritannien nur 2 % der globalen Emissionen ausmacht, der Sieg des eloquenten Dummkopfs über den klugen Analytiker ist. Kalifornien, Deutschland, die Luftfahrt, Schifffahrt, Peking und Schanghai sind alle im unteren Prozentbereich. 50 X 2 % = 100 %. Daher sind unsere 2 % wichtig – nicht nur direkt, sondern vor allem, weil die effektiven Emissionskürzungen in Großbritannien an anderen Orten weitere Einsparungen erzeugen werden". China hat angekündigt, nach 2030 die Emissionen abzusenken. Die Industriestaaten haben kein Recht, gemessen an ihren enormen Verpflichtungen, von China & Co. mehr zu verlangen. Das heißt nicht, dass es nicht gut wäre, wenn China und andere Entwicklungsländer ihre Treibhausgase stärker reduzieren würden. Aber das müssten dann die reichen Länder ermöglichen und finanzieren. Sie könnten bei den enormen Emissionstransfers ansetzen. Denn ein großer Teil der Emissionen in den Schwellen- und Entwicklungsländern geht ja auf den Konsum in den Industrienationen zurück. (6)
Die Regierungen in den USA und in der EU wissen sehr wohl, dass mit ihrer Blockadehaltung enorme Schädigungen und Klimakollaps-Risiken verbunden sind, insbesondere für die, die nichts zum Klimawandel beigetragen haben. Schurkenstaaten sind nach offizieller Definition Länder, die sich aggressiv verhalten, die Stabilität ganzer Weltregionen untergraben und sich fairen internationalen Verhandlungen verweigern. Im US-Außenministerium hieß es am 19. Juli 2002, Schurkenstaaten seien „Staaten, die Anlass zu Besorgnis geben“. Es mag daher nicht unangemessen sein, USA, EU & Co. gemäß dieser Definition als Klimaschurkenstaaten zu bezeichnen.
Nehmen wir als Beispiel die EU, den „Vorreiter“ beim Klimaschutz. Die Ländergruppe geht mit dem Klimaziel nach Paris, bis 2030 40 Prozent weniger Treibhausgase gegenüber 1990 auszustoßen. Kevin Anderson, stellvertretender Direktor des renommierten „Tyndall Center for Climate Change Research“ an der Manchester University, hat schon 2013 auf die unwissenschaftliche Berechnung des europäischen Klimaziels hingewiesen. So habe man die Wahrscheinlichkeit einfach herabgesetzt und einen illusorischen und für die Entwicklungsländer inakzeptablen globalen Emissionspeak vor 2020 in das Szenario eingefügt, um das EU-Klimaziel mit dem 2 Grad Ziel als kompatibel erscheinen zu lassen. In einem offenen Brief an den damaligen EU-Kommissionspräsidenten Manuel Barroso schrieb er, dass die "EU sofort um rund 10 Prozent jedes Jahr ihre Emissionen reduzieren müsste, um bis 2030 das Ziel von 80 Prozent zu erzielen. Der Mathematik der Emissionen, die gewährleistet, dass wir mit einer akzeptablen Wahrscheinlichkeit nicht über 2 Grad kommen, kann nicht entkommen werden. Trotzdem sind solche Reduktionshöhen weit jenseits dessen, was jene, die in die Diskussionen um das EU-Klimaziel für 2030 involviert sind, auch nur andenken". Medienecho? Zero. Die aktuellen INDCs bestätigen Andersons „Mathematik“. Die politische Ideologie des Klimaschutzes ist ein „Lügen mit Zahlen“, ein Verschweigen von unangenehmen Tatsachen. (7)
Leider leisten dem auch Klimawissenschaftler Vorschub, indem sie bei der offiziellen Interpretation der Zahlen Realitäten weichzeichnen, Fairness-Standards verwässern oder verschweigen, welche Budgets bzw. Budgetüberziehungen in den Klimazielen enthalten sind. Hans Joachim Schellnhuber vom „Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung“ (PIK), einer der einflussreichsten Klimaforscher, Berater der Kanzlerin und des Kommissionspräsidenten, bezeichnete das EU-Klimaziel in einem FAZ-Interview mit der Überschrift „Ich bin nicht enttäuscht von Barroso“ am 24. Januar 2014 als „am unteren Ende dessen, was man noch als ein akzeptables Ambitionsniveau ansehen kann“. Schellnhuber erläutert im Interview auch, was nach seiner Meinung noch unter „ambitioniert“ verstanden werden darf: „Man hätte mit den bestehenden Maßnahmen aber schon 32 Prozent erreicht“ und „Für das Zwei-Grad-Ziel ist die Zusage nicht gut genug, das ist klar.“ Wer “ambitioniert“ in Bezug auf den „Klimaschutz“ der Industrieländer hört, sollte sich klar machen, dass es sich dabei um ein PR-Codewort handelt, das nicht wörtlich zu verstehen ist. „Ambitioniert“ darf selbst eine Politik genannt werden, die nicht am 2 Grad Ziel orientiert ist und den Verschmutzerstaaten keine Anstrengungen abverlangt. Ganz zu schweigen von der Berücksichtigung von fairen Emissionsbudgets. Fairness ist schlicht und ergreifend irrelevant für die Bewertung des Klimaschutzes von EU, USA, Kanada, Japan & Co. Der stellvertretender Direktor und Chefökonom des PIK Ottmar Edenhofer, ein Kollege von Schellnhuber und „Co-Chair“ des letzten IPCC-Berichts, sagte mir im Interview letztes Jahr, dass er Barroso die 40 Prozent empfohlen habe. Das bedeute zwar, so Edenhofer auf Nachfrage, dass die Entwicklungsländer in Zukunft ähnliche Reduktionsleistungen wie die Industrienationen erbringen müssten. Aber die Unterscheidung zwischen den beiden Gruppen halte er sowieso längst für überholt. (8)
Um nicht missverstanden zu werden: Edenhofer und Schellnhuber haben Großartiges geleistet, wichtige Forschungsarbeiten u.a. zur Budgetrechnung und zu Emissionstransfers verfasst und sind in ihren wissenschaftlichen Urteilen vollkommen integer. Die Frage ist nur: Warum stellen sie sich beim EU-Klimaschutz an die Seite der Mächtigen, benutzen die politischen Sprachregelungen der Industriestaaten, zeichnen bei den Emissionen resp. Risiken weich und verschweigen die Konsequenzen fairer Budgetaufteilung? Schaut man sich an, wer die Klimawissenschaften finanziert, Kongresse organisiert, Studien in Auftrag gibt und die Forscher zu persönlichen Beratern erhebt, der bekommt einen ersten Hinweis darauf, warum so wenige Wissenschaftler in den Industrienationen auf Konfrontationskurs mit den politischen Rahmenbedingungen der Eliten in ihren Ländern gehen.
Wir sind Spitze! Der Mythos des Klimamusterlands
Wir werden auch in Paris wieder zu hören bekommen, dass die deutsche Regierung unter Klimakanzlerin Angela Merkel die anderen Staaten versucht mitzuziehen. Die deutsche Vorreiterrolle ist ein Narrativ, das seit dem Erdgipfel in Rio 1992 und dem Kyoto-Protokoll 1997 öffentlich gepflegt wird. Doch diese Erzählung ist größtenteils Mythologie, trotz Windrädern und Solarpanels von Mecklenburg-Vorpommern bis ins Allgäu. Die Realität ist: Deutschland hat seit 1990 seine territorialen Emissionen um 27 Prozent reduziert. Aber das hat nur zu einem kleinen Teil mit Klimaschutz zu tun. Denn zieht man die Effekte vom „wallfall-profit“ (Deindustrialisierung in den neuen Bundesländer nach der Wiedervereinigung), des Anstiegs ausgelagerter Emissionen und der Finanzkrise ab, bleiben (konservativ gerechnet) nicht einmal 10 Prozent übrig, die auf das Konto von Klimaschutz gehen. Das Land zählt weiter zu den höchsten Emittenten weltweit (Pro-Kopf-Verbrauch) und ist nach dem „Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen“ (WBGU) „kohlenstoffinsolvent“ wegen Budgetüberziehung (wobei nicht einmal die historischen Emissionen vor 1990 gerechnet wurden). Dazu kommen die grauen Emissionen in Schwellenländern wie China, in denen Spielzeug, Kleidung und industrielle Vorfabrikate für Deutschland produziert werden. Die deutschen Treibhausgase sind inklusive dieser Emissionstransfers vor allem aus Entwicklungsländern tatsächlich um ein Viertel höher, wie Studien zeigen. Der Anteil der Erneuerbaren am Energieverbrauch und Stromgewinnung ist im EU-Vergleich gerade mal durchschnittlich. Die Emissionswerte im Verkehrssektor in Deutschland sind heute genauso hoch wie vor 25 Jahren. Die deutsche Regierung hat immer wieder wichtige europäische Regelungen für den Klimaschutz aufgeweicht (siehe Effizienzrichtlinien, CO-2-Grenzwerte für Neuwagen usw.). Warum bezeichnen wir also nicht Russland und viele osteuropäische Staaten als Klimaschutzvorreiter? Nimmt man die Pro-Kopf-Verbräuche inklusive Emissionstransfers hat Deutschland die Emissionen nur um 20 % abgesenkt (von 15 auf 12 tCO2e), Russland jedoch um rund 32 % (von 14 auf 9,7 tCO2e), die Slowakei um 38 % (von 14 auf 8,9 tCO2e), die tschechische Republik um 33 % (von 15 auf 10 tCO2e) Ungarn um 27 % (von 8,5 auf 6,4 tCO2e) und Rumänien um rund 45 % (von 7 auf 3,8 tCO2e) – sicherlich, mit Hilfe der Deindustrialisierung in den 90er Jahren, aber davon hat eben auch Deutschland zu einem beträchtlichen Teil profitiert. Selbst im EU-Vergleich ist Deutschland eine „lame duck“, eine lahme Ente. Der EU-28-Durchschnitt liegt bei rund 22 % Emissionsminderung (von 11 auf 8,6 tCO2e). Selbst große westeuropäische Industrienationen wie Spanien, Frankreich, Großbritannien etc. haben geringere Pro-Kopf-Verbräuche, leben auf einem nachhaltigeren Treibhausgas-Niveau und haben ihr Budget noch nicht oder weniger überzogen. Sollten sie nicht Vorbild sein? Auch die Klimasünder USA sind beim Klimaschutz nicht so weit vom Klimavorreiter Deutschland entfernt. Zieht man die deutsche Wiedervereinigung einerseits und das enorme Bevölkerungs- und stärkere Wirtschaftswachstum in den USA andererseits als externe Faktoren ab (allein plus 67 Millionen Amerikaner seit 1990, also fast die Größe der Bundesrepublik ist dazu gekommen), verkleinert sich die Lücke beim Klimaschutz zwischen „Vorbild“ und „Klassenletzter“ auf wenige Prozentpunkte. (9)
Die Erzählung vom „Vorreiter“ ist so mächtig, dass sie selbst heftige Krisen überleben kann. Nehmen wir das Klimaziel-Rettungsprogram für das Jahr 2020. Die einzelnen Zahlenverneblungen zu schildern würde hier zu weit führen. Nur so viel: Die Regierung erkannte nach jahrelangem Warten, während die Emissionen seit 2009 wieder stiegen, die physikalische Realität letztes Jahr schließlich an, dass ihr Klimaziel für 2020 nicht mehr zu erreichen sei. Um die Lücke zu schließen, wurde ein Aktionsprogramm ins Leben gerufen. Zentraler Baustein war der Stromsektor, also die Kohleverstromung. Der ursprünglich notwendige Einsparbedarf lag nach der Einschätzung der Bundesregierung bei bis zu 55 MtCO2e (Millionen Tonnen Kohlendioxid-Äquivalente). Dann wurde gestutzt. Am Ende waren es, nach dem „Kompromiss“ von Wirtschaftsminister Gabriel mit der Kohleindustrie, nur noch 12,5 MtCO2e Einsparungen im Kraftwerkspark, wobei 1,5 MtCO2e noch nicht mit Maßnahmen unterlegt sind. 9,5 MtCO2e sollen zusätzlich noch an anderer Stelle generiert werden. Eine von Greenpeace in Auftrag gegebene Studie vom 29. September 2015 berechnet auf Grundlage der offiziellen Zahlen des Bundesumweltministeriums zu den Wirkungen des Klimaaktionsprogramms, dass mit dem politischen Kompromiss mehr als 25 MtCO2e Einsparungen im Stromsektor fehlen.
Dazu kommt, dass das Klimaforschungsinstitut Ecofys die Lücke, die die Bundesregierung als Grundlage für die Maßnahmen ansetzte, schon Mitte 2014 neu berechnet hatte. Das Institut passte die Prognosen den aktuellen Annahmen der Bundesregierung und veränderten Entwicklungen wie Rentenalter der Kohlekraftwerke, Ausbauziele Erneuerbare, Emissionshandel usw. an. Die Lücke ist nach der Neuberechnung weit größer als im Aktionsprogramm angesetzt. Doch diese Erkenntnisse wurden von der Bundesregierung und auch den Medien übergangen. Ecofys stellte in der Studie klar, dass tatsächlich „bis zu 57 MtCO2e zur Zielerreichung fehlen“ könnten. Im Klartext: Mit dem Aktionsprogramm wird das 40-Prozentziel nicht nur verfehlt, am Ende könnten es nur 35 Prozent Einsparungen an Emissionen sein, die bis 2020 erzielt würden. Das bedeutet nicht nur, dass die deutsche Regierung die Emissionen danach in einem historischen Tempo absenken und die Dekarbonisierung früher erreichen müsste. Vielmehr verschiebt die deutsche Regierung die dringend benötigten Emissionskürzungen von mindestens 80 Prozent bis 2030, um das 2-Grad-Ziel noch erreichbar zu halten (siehe Anderson und „Fair Shares“), weiter ins politische Nirwana. Die Presse hält solche Petitessen für irrelevant und feiert lieber das Aktionsprogramm als „Etappensieg für Hendricks“ und den Kompromiss als „Durchbruch gegen Klimakiller“ (beides Taz). Während die vor kurzem aufgeflogenen Emissionstricksereien Chinas die deutschen Artikelschreiber echauffieren, wird über die Schönrechnereien der eigenen Regierung wohlwollend hinweg gesehen. (10)
Auch bei der Klimafinanzierung tricksen Deutschland & Co. Die Klimafinanzierung ist neben den nationalen Emissionszielen der zentrale Punkt bei den Verhandlungen auf dem Pariser Klimagipfel. Der Block der sog. Non-Annex 1 Staaten, also der Entwicklungsländer, wird ohne angemessene Verpflichtungen der Industrienationen bei der Finanzierung ein Abkommen nicht unterzeichnen. Zu Recht. Die Verpflichtung, die Entwicklungsländer beim Klimaschutz zu finanzieren, entstammt der historischen Verantwortung der Industrienationen für den Klimawandel und der fortlaufenden Übernutzung der Atmosphäre mit Treibhausgasen durch die entwickelten Staaten. Die Industrienationen haben daher den Entwicklungsländern zugesichert, für die Klima bedingten Adaptionskosten und die Maßnahmen zur Emissionsminderung aufzukommen. Doch der Club der Industriestaaten hat nicht die Absicht tatsächlich zu zahlen. Auch hier müssen einige Hinweise ausreichen. Die reichen Länder haben beim Klimagipfel in Kopenhagen versprochen, zusätzlich zur Entwicklungshilfe 30 Milliarden Dollar im sogenannten „Fast-Start-Finance“ bis 2012 zu leisten. Die Summe wurde auch erreicht, allerdings nur auf dem Papier. Denn zusätzlich wurde praktisch nichts gezahlt. Die Staaten fledderten die Entwicklungshilfe nach allen Regeln der Kunst. Es wurde doppelt gebucht und umetikettiert. Längst beschlossene Gelder wurden einfach eingerechnet oder Kredite benutzt, wie Oxfam-Studien zeigen. Die internationale Hilfsorganisation stellt zu Recht fest, dass nur Länder, die die von den OECD-Staaten versprochene ODA-Quote (die offizielle Quote der Entwicklungshilfe) von 0,7 % des Bruttonationaleinkommens (BNE) bereits zahlen und darüber hinaus Klimagelder mobilisieren, tatsächlich Klimafinanzierer sind. Im Moment sind das nur Luxemburg, Dänemark, Norwegen, Schweden und jetzt auch Großbritannien, dessen Regierung im Zuge der UN-Millenniumsziele die Quote erreichen konnten. Die Bundesregierung verpasste das Ziel deutlich und liegt bei einer Quote von 0,4 %, die sie bis 2020 stabil halten will. (11)
Auch haben die Annex-1 Staaten (also die Industrieländer) auf dem Klimagipfel in Kopenhagen versprochen, die Summe weiter zu steigern und ab 2020 100 Milliarden Dollar pro Jahr für Emissionsminderung und Klima-Adaption an die Entwicklungsländer zu zahlen. Wie eine aktuelle OECD-Studie zur Klimafinanzierung zeigt, bestehen die „Zahlungen“ weiter aus gefledderter Entwicklungshilfe (ohne wesentliche Erhöhung der ODA-Quote der OECD-Staaten). Der Rest (rund 50 bis 60 Prozent) wird durch öffentliche und kommerzielle Kredite und „mobilisierte private Investitionen“ aufgefüllt. Natürlich müssen die Kredite von den Entwicklungsländern zurückgezahlt werden und erhöhen ihre Schuldenlast. Auch „private Investitionen“ und die daran geknüpften Gewinnerwartungen müssen von den Menschen in den Entwicklungsländern refinanziert werden, in Form von Stromkosten, Steuergeldern, Gebühren usw. Kredite und private Investitionen sind weder „Zahlungen“ der reichen Länder an die Entwicklungsländer noch sind die öffentlichen Klimagelder, gebucht in die Entwicklungshilfe, Extramittel für die Ärmsten. Es sind Potemkinsche Dörfer, herausgeputzt von selbsternannten Klima-Samaritern. Umweltorganisationen rund um den Globus fordern bisher ohne Erfolg, dass die 100 Milliarden Dollar rein aus Haushaltsmitteln zusätzlich zur Erfüllung der ODA-Quote aufgebracht werden sollen. Das würde heißen, dass die deutsche Regierung die öffentlichen Klimagelder nicht wie angekündigt lediglich von zwei auf vier, sondern auf rund acht Milliarden Euro aufstocken müsste - allerdings ohne Anrechnung von öffentlichen Krediten, die 2014 bei rund 2,8 Milliarden Euro lagen. Die Klimamittel dürften auch nicht weiter in die offizielle Entwicklungshilfe (ODA) gebucht werden. Zudem müsste die deutsche Entwicklungshilfe um rund 15 Milliarden Euro erhöht werden, um die von Klimageldern gesäuberte ODA-Quote an 0,7 Prozent des BNE heranzuführen, die seit 1970 im Jahrestakt von der Bundesregierung zugesichert wird. Die Zahlungsverweigerung der deutschen Regierung gegenüber den Entwicklungsländern bewegt sich demnach heute bei rund 20 Milliarden Euro jährlich. Das ist ein historischer Tiefstand. (12)
Die 100 Milliarden Dollar sind zudem nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Die Kosten für Emissionsminderung und Adaption an Klimaschäden in den Entwicklungsländern ist nach unterschiedlichen Berechnungen (u.a. der Weltbank, UN, South Centre, klimaökonomischen Untersuchungen, Hilfsorganisationen wie Oxfam, World Economic Forum) weit höher. Konservativ liegen die Kosten und Zahlungsverpflichtungen der Industriestaaten bei rund 1 Billion Dollar pro Jahr. (13)
Eine der durchführenden Banken für die Klimafinanzierung für die Entwicklungsländer ist u.a. die Deutsche Bank. „Sie reichen die Anträge auf Förderung von Projekten und Programmen ein. Das gibt ihnen Entscheidungsspielraum, auch wenn am Ende das Direktorium des Fonds über die Bewilligung der Anträge entscheidet.“ Die Deutsche Bank ist mit 15 Milliarden Dollar, die sie 2014 in Kohleabbau und -verstromung investierte, auf Platz 10 der Top Kohlefinanzierer und macht auch sonst eine Reihe von „Dirty Profits“, wie die gleichnamige Studienreihe seit Jahren immer wieder anprangert. Warum wird die Finanzierung nicht über internationale Organisationen bzw. die betroffenen Länder selbst abgewickelt? Die Art, wie die Industrienationen die „Klimafinanzierung“ konstruieren, nährt den Verdacht, die Finanzmittel für die Entwicklungsländer als „Export Promotion“ für die nationalen Unternehmen in den Industrienationen auszurichten. Das hat wenig zu tun mit dem, wie sich die G-7 Staaten auf ihrem Treffen in Elmau präsentierten: als „gute Samariter“, die ihrer Verantwortung für den Klimawandel und ihrer Zahlungspflicht gegenüber den Entwicklungsländern gerecht werden wollen, mit der Frontfrau und „Klimakanzlerin“ Angela Merkel.
Der humanitäre Koordinator der UN Toby Lanzer stellte am 16. November 2015 nach einer Reise in die Sahelzone in Afrika fest, dass dort 25 Millionen Menschen nicht genügend Nahrungsmittel hätten und jedes Jahr allein 700.000 Kinder im Staub an den Folgen der Unterernährung sterben würden. Er mahnte: „Das Problem des Klimawandels ist besonders akut für die Sahelzone. Hier finden sich zudem die ärmsten Länder der Welt. Mit allem Respekt für mein Land Großbritannien und meinen Kontinent, wir müssen weit mehr tun, um den Ländern zu helfen, die von den Kohlendioxid-Emissionen, Klimawandel usw. getroffen wurden." (14)
Merkel, Junker, Obama & Co. laufen nackt durch Paris
In Paris werden die Regierungen der reichen Staaten erneut versuchen, mit Zahlen schöne Fassaden zu errichten. Werden wir von den Medien aus Paris zu hören bekommen, dass die Industrienationen weiter nicht bereit sind, ihren Verpflichtungen und ihrer Verantwortung gerecht zu werden und angemessen die Treibhausgase zu reduzieren? Werden wir hören, dass die Klimaziele, wie sie bisher von den Industrienationen vorliegen, Angebote von Klimaschurken sind, die die Erde zu ruinieren drohen? Werden wir in Paris hören, dass auch Deutschland und die EU seit den ersten Klimaverhandlungen vor 20 Jahren wenig an Emissionsreduktionen durch Klimaschutz erreicht haben? Werden wir hören, dass die Klimaziele der deutschen Regierung in keiner Weise angemessen sind, weder hinsichtlich einer fairen Emissionsaufteilung noch angesichts der Möglichkeiten und Potentiale eines der reichsten Länder der Welt? Werden wir hören, dass die deutsche Regierung das 2020-Ziel nach eigenen Prognosen gar nicht mehr erreichen will? Werden wir hören, dass die EU bis 2030 mindestens 80 statt 40 Prozent gegenüber 1990 reduzieren müsste, damit wir eine einigermaßen realistische Chance hätten, unter 2-Grad Celsius Erderwärmung zu bleiben? Werden wir aus Paris hören, dass dieses EU-Reduktionsziel erreichbar wäre, wenn die Regierungen ihren Forschern, Ingenieuren oder gar Bürgern folgen würden und aufhörten, riesige Summen in die fossile Brennstoffindustrie zu stecken? Werden wir hören, dass die reichen Staaten die armen Länder bei der Klimafinanzierung betrügen, ihnen toxische Almosen vor die Füße werfen, um sich im Pariser Scheinwerferlicht als „gute Samariter“ von den Medien feiern zu lassen? Werden wir hören, dass das Ergebnis dieser Zahlungs- und Reduktionsverweigerung der Industrienationen eine Verschärfung von Dritte-Welt-Elend, des „stillen Sterbens“ jenseits der Kameras und ein hohes Risiko an unkontrollierter Erderwärmung sein wird? Erinnern wir uns an das Märchen „Des Kaisers neue Kleider“: „‘Aber er hat ja gar nichts an!‘, sagte endlich ein kleines Kind. ‚Hört nicht darauf!‘, sagte der Vater. Aber man flüsterte sich jetzt gegenseitig zu, was das Kind gesagt hatte. Da rief plötzlich das ganze Volk: ‚Aber er hat ja gar nichts an!‘ Der Kaiser war zutiefst erschreckt, denn er spürte, dass es wohl die Wahrheit sein musste. "Nun", dachte sich der Kaiser, ‚es ist geschehen und ich muss jetzt Haltung und Würde bewahren.‘ So trugen die Kammerherren auch weiterhin die unsichtbare Mantelschleppe, bis das Fest zu Ende war.“ Werden wir von unseren Medien hören, dass Merkel, Junker, Obama & Co. in Wahrheit nackt durch Paris laufen?
Die „Ideologie der Zahlen“ beim Klimaschutz ist sehr mächtig und tief verwurzelt. Sich intellektuell dagegen zu verteidigen ist nicht leicht. Die Mainstreammedien zeigen wenig Interesse, den Bürgern die offiziellen Zahlen verständlich zu machen, sie zu hinterfragen und daraus die Schlussfolgerungen zu ziehen. Paris ist sicherlich nicht der Ort, wo die Welt gerettet wird. Aber es ist für zwei Wochen der Laufsteg, auf dem die Regierenden der mächtigen Industriestaaten ihre „neuen Kleider“, die eigentlich alt und abgetragen sind, wieder zur Schau stellen müssen. Wer wird dann mit dem Finger auf ihre Nacktheit zeigen? Das Erkennen von „unangenehmen Wahrheiten“ kann sehr ansteckend sein, man weiß nie genau, wann der Virus auch breitere Massen mobilisiert. Die internationale Klimabewegung wächst, sie ist noch viel zu klein, aber sie wächst. Ein Peruaner hat jetzt beim Landgericht Essen Klage eingereicht gegen den deutschen RWE-Konzern wegen Schädigungen von Bergdörfern durch einen abschmelzenden Gletscher im Zuge des Klimawandels. RWE ist eines der Unternehmen mit den höchsten Treibhausgasemissionen weltweit. Der Konzern ist historisch für einen beträchtlichen Teil der Erderwärmung verantwortlich. Die Hoffnung liegt bei Klimaforschern, Aktivisten, Indigenen, Bürgern und Journalisten, die auf der ganzen Welt von den reichen Industriestaaten einfordern, ihrer Verantwortung für den Klimawandel endlich gerecht zu werden, die von ihnen verursachten Treibhausgase mindestens gemäß des 2 Grad Ziels in den nächsten Jahren auf null zu senken und ihrer Zahlungsverpflichtung nachzukommen. Nichts von dem wäre ambitioniert, sondern moralische Minimalpflicht der Verschmutzer angesichts einer wachsenden Klimakrise mit enormen Risiken. Die Anschläge in Paris und die damit verbundenen Einschränkungen macht es der Klimagerechtigkeitsbewegung jedoch nicht einfacher, in den nächsten Wochen dafür Gehör zu finden. (15)
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