Heiner Flassbeck, Chefökonom der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) in Genf
Die deutsche Regierung trägt eine wesentliche Mitverantwortung für den Ausbruch und die Verschärfung der Eurokrise, sagt Heiner Flassbeck, Chefökonom der UNCTAD in Genf. Haushaltkonsolidierung durch Ausgabenkürzung habe in einer Rezession noch nie funktioniert. Zentrale Ursache der Eurokrise seien nicht die Haushaltsdefizite einzelner Länder, sondern die Handelsungleichgewichte in der Eurozone. Während einige südeuropäische Länder zu viel ausgegeben hätten, habe Deutschland seit Ende der neunziger Jahre durch aggressive Lohn- und Ausgabensenkung seine Preise gesenkt und damit Exportüberschüsse erwirtschaftet, andere Länder seien dadurch in eine höhere Verschuldung geraten. Da es in der Währungsunion keine Möglichkeiten zur Auf- oder Abwertung gibt, um diese Ungleichgewichte auszugleichen, sei die Krise auf diese Weise vorprogrammiert gewesen.
Die Bundesregierung verweigert sich allen Vorschlägen zur Entschärfung der Eurokrise - vom Schuldentilgungsfonds bis zu einer Banklizenz für den ESM, Eurobonds oder einem direkten Eingreifen der EZB - und blockiert außerdem eine Lösung der strukturellen Ursachen der Krise, besonders in Bezug auf die deutschen Exportüberschüsse. Auf diese Weise könne der Euro nur zerbrechen, so Heiner Flassbeck, Chefökonom der UNCTAD. Die Inflationsängste in Deutschland seien unbegründet, in einer Rezession sei es unmöglich Inflation durch Geldpolitik zu erzeugen. Japan versuche dies seit Jahren, um aus der Deflation herauszukommen, aber ohne Erfolg.
Vier Jahre nach Ausbruch der Finanzkrise sei so gut wie nichts geschehen, um die internationalen Finanzmärkte unter Kontrolle zu bringen. Der Dodd Frank Act in den USA sei unter dem Druck der Wall Street bis zur Bedeutungslosigkeit verwässert worden, so Heiner Flassbeck. Notwendig sei ein Trennbankensystem, das Finanzinstitute in Geschäftsbanken, die Kredite für volkwirtschaftlich sinnvolle Investionen vermitteln, und Investmentbanken auf der anderen Seite trennt. Nur die Geschäftsbanken dürften Zugang zu günstigen Zentralbankenkrediten erhalten. Investmentbanken dürften auf keinen Fall gerettet werden, wenn sie sich verspekulieren.
Die Globalisierung sei dabei zu scheitern, so Heiner Flassbeck. Auch die europäische Integration drohe zu scheitern, wenn die Kürzungspolitik fortgesetzt wird. Um neuen Nationalismen vorzubeugen, sei daher eine Politikwende in Europa dringend notwendig. Es dürfe keine weiteren Spardiktate und Lohnkürzungen geben. Die neue französische Regierung unter François Hollande müsse sich an die Seite der südeuropäischen Länder stellen, um Widerstand gegen die deutsche Europolitik zu leisten. Außerdem seien höhere Steuern für Unternehmen und hohe Einkommen in Deutschland notwendig. Deutsche Unternehmen hätten inzwischen so viele Überschüsse, dass sie gar nicht wissen, wohin mit dem Geld, und per Saldo zu Sparern geworden sind.
Deutschland konkurriert seine Handelspartner in Europa durch Niedriglohnpolitik nieder und untergräbt so die Eurozone, sagt Heiner Flassbeck, Chefökonom der UNCTAD in Genf. Kontext TV dokumentiert die Eröffnungsrede bei der 10. Sommerakademie des globalisierungskritischen Netzwerks Attac in Mainz in voller Länge.