09.12.2011
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Ulrike Herrmann, wirtschaftspolitische Korrespondentin der TAZ, Buchautorin ("Hurra, wir dürfen zahlen: Der Selbstbetrug der Mittelschicht")
Aris Chatzistefanou, Filmemacher aus Athen, Regisseur des Dokumentarfilms "Debtocracy"
Richard Wolff, em. Professor für Ökonomie, University of Massachusetts, USA
Ricardo Patiño, Außenminister der Republik Ecuador

Wenn die Europäische Zentralbank nicht einschreitet und wie andere Zentralbanken Staatsanleihen aufkauft, dann bricht der Euro auseinander, sagt Ulrike Herrmann. Die Folgen wären katastrophal. Staaten an der Peripherie wie Griechenland würden auf den Stand von Albanien zurückfallen. Deutschland hätte in Folge eines Crashs wirtschaftliche Schäden in Höhe von bis zu einer Billionen Euro und Massenentlassungen zu verkraften. Daher müsse Bundeskanzlerin Merkel ihre Blockadepolitik gegen den Aufkauf von Staatsanleihen durch die EZB und gegen Eurobonds aufgeben.

Die Mittelschicht betrügt sich weiter selbst, sagt Herrmann. In der Vergangenheit habe sie für Steuer- und Sozialgesetze gestimmt, die der Oberschicht und eben nicht der Mittelschicht dienen. In der Finanz- und Bankenkrise habe sie die Rettung der großen Vermögen mitgetragen - zu Lasten der Allgemeinheit. Indem sich die Mittelschicht mit den Eliten solidarisiere und sich von der Unterschicht abgrenze, schade sie sich weiter selbst. Auch Fremdenfeindlichkeit werde dadurch genährt. Protestbewegungen wie die Occupy-Bewegung dagegen könnten das Bewusstsein verändern und zu einem "New Deal" führen, der die großen Einkommen und Vermögen zur Finanzierung der Krisenkosten heranzieht. Das sei auch deshalb notwendig, weil nur egalitäre Gesellschaften fähig seien, auch die großen Herausforderungen der ökologischen Krise zu bewältigen.

Griechenland wird von EU-Kommission, internationalem Währungfonds und Europäischer Zentralbank (Troika) in eine humanitäre Krise getrieben, sagt Aris Chatzistefanou, Filmemacher aus Athen. Die sozialen Errungenschaften der letzten einhundert Jahre werden zerstört. Erstmals seit dem 2. Weltkrieg gebe es wieder massive Unterernährung von Kindern. Dabei seien nicht die griechischen Bürger für die Krise verantwortlich sondern ein destruktives Finanzsystem und eine Fehlkonstruktion der Eurozone, die manche Länder in die Verschuldung treibt und anderen, wie Deutschland, Überschüsse beschert. Die Rettungspläne hätten bisher vor allem einer Rettung der Banken gedient, nicht den Bürgern. Nur wenn die Bürger selbst, inspiriert vom arabischen Frühling und Occupy Wallstreet wieder echte Demokratie erstreiten und die Zukunft selbst in die Hand nehmen, könne eine Wende zum Positiven gelingen.

Die Krise in den USA und Europa sei keine reine Finanzkrise, sagt Wolff. Besonders in den USA würden seit den 70er Jahren die Löhne stagnieren oder sinken - bei stark steigender Arbeitszeit. Um das Konsumniveau trotzdem aufrecht zu erhalten, habe sich die Verschuldung privater Haushalte und des Staates drastisch erhöht, während sich die Vermögen in einer kleinen Schicht von Kapitalbesitzern konzentrierten. Während man in Europa ausschließlich auf das kleine Griechenland oder auch Italien schaue, werde übersehen, dass die größere Gefährdung von den USA ausgehe, so Wolff. Die Occupy-Bewegungen bezeichnet der seit Mitte der 50er Jahre politisch aktive Wolff als historisch einmalig.

Ecuador war noch Ende der neunziger Jahre das höchst verschuldetste Land Lateinamerikas. Doch unter der Regierung Correa gelang es nach 2007, die Schuldenlast um 70 Prozent zu reduzieren und so Mittel für Sozialausgaben und Infrastruktur frei zu machen. Im Zentrum dieses Prozesses stand ein Schuldenaudit, bei dem die Legitimität der Schulden bei privaten Banken, IWF und Weltbank geprüft wurde. Der größte Teil dieser Schulden wurde für illegitim befunden, Präsident Correa beschloss, nur etwa 30 Prozent davon zurückzuzahlen. Die befürchtete Klagewelle blieb aus, statt dessen konnte das Land aufatmen, berichtet Ricardo Patiño, der damals als Finanzminister der Kommission des Audits vorstand.