21.01.2022
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Introduction: 

Die fossile Brennstoffindustrie will im nächsten Jahrzehnt 250 Milliarden US Dollar allein in Afrika investieren. Bis 2050 plant man 1,5 Billionen an Investitionen für die fossile Produktion auf dem Kontinent zu mobilisieren. Das Geld kommt von denselben Finanzunternehmen, die gleichzeitig vorgeben, klimaneutral zu werden. Während die Finanzindustrie täuscht, werden die Treibhausgase des Militärs als einer der größten Klimaverschmutzer bei den Klimaverhandlungen ausgeklammert. Die reichen Länder geben einerseits fast 2 Billionen US-Dollar jedes Jahr für Militär und Kriege aus, die die Widerstandsfähigkeit armer Länder gegenüber der Klimakrise schwächen, versprechen aber andererseits lediglich 100 Milliarden an Klimafinanzierung. Das Militär ist tatsächlich „ein zentraler Sektor, der verhindert, dass wirklich etwas gegen die Klimakrise getan wird.“ Die Industriestaaten müssen in diesem Jahrzehnt das Verbrennen von Kohle, Gas und Öl einstellen, fordert Bassey. Außerdem sind sie dazu verpflichtet, Reparationen für ihre Klimaschulden an die die armen Länder zu zahlen. Kohlenstoffmärkte oder Experimente mit Geo-Engineering kritisiert Bassey als falsche Lösungen, die das Problem in die Zukunft schieben. Hoffnung gibt ihm die junge Generation, die sich an die Spitze der Klimabewegung gesetzt hat. Sie könnte in den nächsten Jahren die Lage vollkommen verändern.

Guests: 

Nnimmo Bassey ist ein nigerianischer Dichter und Umweltschützer. Er ist Direktor der Organisation Health of Mother Earth Foundation. Von 1993 bis 2013 war er Leiter von Environmental Rights Action und von 2008 bis 2012 Vorsitzender von Friends of the Earth International. Er ist Träger des Alternativen Nobelpreises. Das Time Magazine wählte ihn 2009 zu einem der Heroes of the Environment („Helden der Umwelt“).

Transcript: 

David Goeßmann: Lassen Sie uns zur Finanzindustrie kommen. Sie verspricht, zukünftige Investitionen bis 2050 auf Kohlenstoffneutralität auszurichten. Was halten Sie davon?

Nnimmo Bassey: Das ist eine weitere Lüge. Je mehr die Finanzinstitutionen betonen, dass sie die Finanzierung von fossilen Projekten einstellen oder sich aus der Finanzierung zurückziehen werden, desto mehr tun sie das Gegenteil. Die fossile Brennstoffindustrie plant, in den nächsten zehn Jahren bis zu 250 Milliarden US-Dollar in Afrika zu investieren. Bis 2050 sollen etwa 1,4 Billionen US-Dollar in Projekte der fossilen Brennstoffunternehmen in Afrika investiert werden. Das wird nicht aus den Kassen dieser Unternehmen bezahlt, sondern von denselben Finanzinstituten ermöglich werden, die sagen, dass sie kohlenstoffneutral werden wollen. Sie reden nur, und alle, die ihnen glauben, sind naiv und werden über den Tisch gezogen werden.

David Goeßmann: Lassen Sie uns über das Militär sprechen. Was ist die Verbindung zwischen Militär und Krieg auf der einen Seite und der Klimakrise und Klimapolitik auf der anderen?

Nnimmo Bassey: Regierungen bauen ihr Militär aus, um damit Kriege zu führen. Auch die Hersteller von Munition und Rüstungsgütern freuen sich, wenn sich Konflikte entzünden. Deshalb haben wir heute so viele Konflikte in der Welt. Die meisten davon sind Ressourcenkonflikte, bei denen der Verkauf von militärischer Ausrüstung angekurbelt wird und neue Waffen getestet werden können. Man wählt dafür arme Länder. Libyen ist fast völlig dem Erdboden gleichgemacht worden, der Irak liegt in Schutt und Asche, wir haben Kämpfe und Kriege in Afghanistan. Keiner dieser Kriege ist neutral, keiner von ihnen beruht auf grundsätzlichen Spaltungen in der Bevölkerung der Länder. Bei all diesen Kriegen geht es um Ressourcenkolonisierung und Ressourcenkontrolle durch mächtige externe Interessen. Bei den Klimaverhandlungen ist immer wieder zu hören, dass die Emissionen der Militärs bei der Berechnung der Kohlenstoffmenge in der Atmosphäre nicht berücksichtigt werden. Es ist also eine bewusste Auslassung. Es ist nicht so, dass die Welt nicht weiß, dass dieser Sektor mit seinen Flugzeugen, Schiffen und allem, was dazugehört, einer der größten Verschmutzer ist. Die Emissionen des Militärs auszublenden zeigt, dass die Klimaverhandlungen nicht ernsthaft betrieben werden und mit Menschenleben pokern. Und zweitens ist das Militär so mächtig, dass es sehr viele Investitionen und Ressourcen auf sich ziehen kann. Vorgeblich geht es um den Aufbau von Widerstandsfähigkeit. Aber in Wahrheit verringert es die Widerstandsfähigkeit, da Länder und ihre Infrastrukturen durch militärische Gewalt zerstört werden. Es reduziert die Kapazitäten der Bürger*innen in den betroffenen Ländern, sich gegen die Auswirkungen der globalen Erwärmung zu schützen. Denn die Widerstandsfähigkeit, die sie vorher hatten, wird durch Kriege zunichte gemacht. Und jetzt versprechen die reichen Staaten, bis 2025 hundert Milliarden Dollar für die Klimafinanzierung zu mobilisieren. Die Frist wurde von 2020 um fünf Jahre nach hinten verschoben. Gleichzeitig geben die reichen Länder jedes Jahr fast 2 Billionen Dollar für Kriegsführung und Waffen aus. Das Militär ist also ein Sektor, der echte Klimaschutzmaßnahmen verhindert.

David Goeßmann: Was sind Ihre Forderungen an die Industrieländer, insbesondere an die USA und auch an die EU, in Bezug auf die Wiedergutmachung von Verlusten und Schäden durch die Klimafinanzierung? Wie sieht Klimagerechtigkeit und ein echter Green New Deal global aus?

Nnimmo Bassey: Die Klimaverhandlungen sollten sich wieder ernsthaft mit dem Prinzip der Gerechtigkeit und dem Prinzip der „gemeinsamen, aber geteilten Verantwortung“ auseinandersetzen. Sie sollten nicht nur auf zukünftige und gegenwärtige Verantwortung schauen, sondern auch auf die historische Verantwortung. Es ist an der Zeit, dass gefährdete Nationen und kleine Inselstaaten, die Länder in Afrika, Lateinamerika und Südostasien, Klimareparationen in Form von Klimaschulden fordern. Zweiten müssen die reichen Länder die Wende jetzt schnell umsetzen. Sie dürfen mit dem Ausstieg aus der Nutzung fossiler Brennstoffe nicht bis zum nächsten Jahrzehnt warten, sie müssen jetzt aufhören. Sie haben die Kapazitäten, sie haben die Ressourcen, sie sollten mehr in erneuerbare Energien investieren und einen raschen Wechsel vollziehen, während sie den ärmeren, schwächeren Ländern Zeit verschaffen, planvoll auf ein erneuerbares System umzusteigen. Das ist notwendig, um den Planeten bewohnbar zu halten.

David Goeßmann: Sie sind dagegen, die Krise mit Kohlenstoffmärkten zu lösen. Es gibt Leute, auch unter Umweltschützern, die glauben, dass die Bepreisung von Kohle, Öl und Gas deren Nutzung reduzieren könnte. Warum glauben Sie, dass das der falsche Weg ist, um das Problem anzugehen, und zu einem falschen Ergebnis führt? Und warum gibt es bessere Alternativen, um aus der Krise herauszukommen?

Nnimmo Bassey: Es gibt die Überzeugung, dass Menschen erst in einer Sache aktiv werden, wenn man einen Preis dafür festlegt. Und so versucht man, den Preis für Kohlenstoff so festzulegen, dass es attraktiv und profitabel ist, weniger Kohlenstoff auszustoßen. Das wird dann von denen bezahlt, die weiter emittieren wollen. Das Klima basiert aber nicht auf Mathematik, die Natur funktioniert nicht nach Berechnung. Man kann also nicht einfach sagen: „Weil hier jemand für Kohlenstoff bezahlt hat, wird er das Richtige tun.“ Man versucht zum Beispiel Wälder durch das REED-Schutzprojekt als Kohlenstoffspeicher zu nutzen: Man weist einen Wald als zu förderndes Projekt aus, so dass er nicht abgeholzt wird. Doch dann wird einfach ein anderer Wald gerodet. Das funktioniert also nicht wirklich. Die Welt muss endlich begreifen, dass es an der Zeit ist, echte Maßnahmen zu ergreifen und die Emissionen an der Quelle zu stoppen. Und das bedeutet, die fossilen Brennstoffe im Boden zu belassen und nicht nur Kohlenstoff, Bäume, Wale, Elefanten oder sonst was auf Märkten anzubieten und zu glauben, dass die Märkte sich dann schon um den Kohlenstoff kümmern werden. Dazu kommt, das man auf Kohlenstoffabscheidung und -speicherung setzt oder andere Möglichkeiten, Kohlenstoff aus der Atmosphäre zu absorbieren. Eine davon ist die sogenannte Ozeandüngung, bei der man große Mengen von Eisenspänen im Meer verteilt. Das soll zu einer Algenblüte führen, die Kohlenstoff bindet. Solche Vorschläge sind aber nur Ideen, an sich nicht schlecht, sie werden in der Natur aber nicht so funktionieren. Denn ein Teil der Algen wird von Fischen gefressen, die dann sterben und den Kohlenstoff wieder freisetzen. Und ein Teil der Algen wird nie auf den Meeresgrund gelangen. Eine andere Idee ist, Wolken weiß zu machen, um mehr Sonnenstrahlung in den Weltraum zu reflektieren. Oder man will Bäume gentechnisch so verändern, dass sie weiße Blätter entwickeln und den sogenannten Albedo-Effekt der Erde verstärken, also Sonne zurückstrahlen. All diese künstlichen Maßnahmen zur Klimasteuerung müssen planetar durchgeführt werden, und zwar permanent, denn sobald sie gestoppt oder durch irgendetwas unterbrochen werden, geht die Wirkung verloren, was große Probleme erzeugt. Der Kohlenstoffhandel und die Kohlenstoffkompensation ermöglichen also Experimente, die nicht bewiesen und teuer sind und außerdem den reichen, mächtigen Staaten noch mehr Macht verleihen, während die schwachen Länder großen Risiken ausgesetzt werden. Denn niemand wird das Klima manipulieren und sich dann selbst benachteiligen. Das Risiko werden also am Ende diejenigen tragen, die weder mit der Verschmutzung der Atmosphäre zu tun haben, noch diese Instrumente in die Atmosphäre gebracht haben. Einige dieser Ideen stammen außerdem von Leuten, die einfach gerne Experimente durchführen. Man kann diese Art von Experimenten jedoch nicht in kleinem Maßstab durchführen. Wenn sie erst einmal den globalen Maßstab erreicht haben, hat das massive Auswirkungen auf die Menschen auf der ganzen Welt. Das können wir uns wirklich nicht leisten. Deshalb fordern wir echte Klimaschutzmaßnahmen, die Senkung der Emissionen, die Änderung unseres Lebensstils, die Abkehr von der modernen industriellen Landwirtschaft, welche Wälder zerstört und zu Monokulturen führt, die Unterstützung von Kleinbauern, die Förderung einer umfassenden Ökologie, die uns gesunde Böden, gesunde Lebensmittel und gesunde Bauern beschert – und darüber hinaus noch den Planeten abkühlt. Mit sehr einfachen Dingen können wir die Erderwärmung in den Griff bekommen, zum Beispiel durch die Reduzierung unseres Mülls, die Reduzierung des übermäßigen Konsums und das Arbeiten und Leben innerhalb der globalen Grenzen.

David Goeßmann: Was gibt Ihnen Hoffnung?

Nnimmo Bassey: Meine Hoffnung liegt auf den jungen Menschen, die sich organisieren und Forderungen aufstellen. Wenn die jüngere Generation so weitermacht, glaube ich, dass sie in absehbarer Zeit in der Position sein wird, Entscheidungen treffen zu können. Und das wird die Situation komplett verändern.