14.12.2015

Die Klimagipfel-Truman-Show

Von: David Goeßmann

 

„Grüner wird’s nicht“ (Taz), „Für die Menschheit“ (SZ), das „Wunder von Paris“ oder „Historischer Weltklimavertrag“ (Spiegel Online) lauten die Schlagzeilen nach dem Klimadeal in Paris. Wir sahen in der Tagesschau einen mit den Tränen kämpfenden Laurent Fabius, französischer Außenminister und COP 21 Präsident, eine innerlich bewegte deutsche Umweltministerin oder einen jubelnden Klimavorkämpfer wie Al Gore. Der Produzent des Dokumentarfilms „Eine unangenehme Wahrheit“ klatschte ergriffen in der ersten Reihe dem Abkommen zu, perfekt inszeniert für die Fernsehkameras. Der Saal der Delegierten aus fast 200 Staaten schien in einem kollektiven Taumel zu verfallen und mit ihm die komplette Medienöffentlichkeit, die den „historischen Moment“ dann jedoch schnell ad acta legte und aus den Nachrichten verdrängte. Der Polit-Zirkus hat geliefert, die Presse kann sich anderen Dingen zuwenden.

Dass die Mächtigen in Paris eine PR-Show inszenieren war erwartbar. Der journalistische Blackout und die Schamlosigkeit der medialen Propaganda um den UN-Klimagipfel ist jedoch selbst für einen langjährigen Medienbeobachter ein Schock. Wäre es nicht zu pathetisch würde ich mich beim Publikum für meine Zunft entschuldigen. Betrug ist ein hartes Wort, aber so ist es nun einmal. Während die Presse munter die Ergebnisse der Erwärmungsszenarien des Paris-Deals manipulieren und den Phantasiewelten vom zukünftigen „Umsteuern“ der selbsterklärten „Klimaretter“ folgen, wollen auch einige Umweltverbände mit butterweichen Statements die Show nicht weiter stören. Willkommen in der Klimagipfel-Truman-Show.

Man kann die Augen vor der Realität verschließen, aber dadurch verschwindet sie nicht. Die sogenannten „Intended Nationally Determined Contributions“ (INDCs), also die unverbindliche Absichtserklärungen der Länder über ihre Emissionsreduktionen beim Pariser Klimagipfel, werden, unter der Voraussetzung, dass alle erreicht werden, den Planeten um 3 bis 4 Grad erwärmen. Das ist der Durchschnitt einer Reihe von klimawissenschaftlichen Berechnungen zu den INDCs. “Die versprochenen Emissionsreduktionen der Länder sind vollkommen unzureichend”, sagt Corinne Le Quere von der University of East Anglia, die die globalen Emissionen berechnet. Da hilft auch kein Nachbessern später, wie es im Paris-Abkommen vorgesehen ist – ein „Mechanismus“, der mit glänzenden Augen von der Presse goutiert wurde. “Es ist zu spät, wenn wir bis 2020 warten”, so Klimawissenschaftler Kevin Anderson, Co-Direktor des renommierten “Tyndall Centre for Climate Change Research” in Großbritannien. “Wir haben nur noch ein sehr kleines Zeitfenster.”

Die unangenehme Wahrheit des britischen Klimawissenschaftlers ist: EU, USA, Japan, Kanada, Australien und Co. müssten bis spätestens 2035 komplett dekarbonisiert sein, also keine Treibhausgase mehr ausstoßen, um die Erwärmung auf 2 Grad zu beschränken. Es bräuchte einer „wahrhaften Weltrevolution“, so Piers Forster der „University of Leeds“. “Selbst der internationale Flugverkehr und die Schifffahrt, die nicht in den Bericht aufgenommen wurden, müssten in den nächsten Jahren angegangen werden.” Im Klartext: Jetzt muss gehandelt werden, jetzt müssen alle unsere Sektoren von Energie, Transport, Konsum, Heizen radikal umgebaut werden, in hohem Tempo. Sonst ist der Zug abgefahren. Denn der Umbau von Infrastrukturen verläuft träge. Er ist gesellschaftlich komplex und stellt politisch und technologisch große Herausforderung dar. Ein neues Gaskraftwerk heute bedeutet z.B., dass noch in 25 bis 40 Jahre Kohlendioxid dort ausgestoßen wird – was wiederum mit dem Dekarbonisierungdatum 2035 kollidiert. Außer man arbeitet trickreich mit „negativen Emissionen“ aus dem Klima-Zauberkasten. Dann dürfen wir noch etwas länger Kohlendioxid emittieren. Dabei werden Technologien eingeplant, die bisher weder erprobt noch sicher (z.B. Carbon Capture and Storage, CCS) oder schlicht illusorisch sind wie massive Aufforstungen, um Kohlendioxid zu binden.

Die Folgen und Risiken der Blockadehaltung der Industrienationen, die Treibhausgase angemessen zu reduzieren, sind bekannt. „Sie verbrennen den Planeten“, fasst der ehemalige bolivianische Klima-Chefunterhändler Pablo Solón das Ergebnis des Klimagipfels in Paris auf Kontext TV zusammen. „Wir werden in eine Situation gebracht, in der die Frage ist, wessen Kinder überleben und wessen sterben werden. Es ist ein Genozid.“ Weiterer Klimawandel tötet und erzeugt unkontrollierbare Risiken: Dieser Verantwortung müssen wir uns in den reichen und emissionsintensiven Demokratien stellen. Das betrifft auch die Finanzierung der Kosten für die Entwicklungsländer im Zuge der fortschreitenden Erderwärmung, bei der die OECD-Länder tricksen, dass einem schwindelig wird, ebenfalls mit fatalen Folgen. Auch kein Thema für die Medien. Doch wegducken gibt es nicht mehr. Wir sind die Hochemittenten, wir leben in den Hochemittentenstaaten. Unser Wohlstand geht auf die übermäßige Schädigung der Atmosphäre zurück. Wir sind schuld am Klimawandel und seinen Folgen.

Trotz aller Schwierigkeiten sagen uns die Klima- und Energiemodelle, das drastisches Umsteuern immer noch möglich ist. Die reichen Industrienationen haben die notwendigen Technologien und die wirtschaftliche Kraft schneller auf Null-Treibhausgase zu reduzieren. Aber es sollte eine faire Lösung sein: Die reichsten 10 % der Weltbevölkerung, verantwortlich für rund 50 % aller Emissionen, müssten Einschränkungen hinnehmen und ihren Konsum reduzieren, um den Planeten stabilisieren zu können. Dazu zählt auch der Autor und wahrscheinlich viele LeserInnen des Textes. Doch hinter den Regierungen der Industriestaaten stehen mächtige Interessengruppen: RWE, Exxon und VW wollen weiter möglichst ungestört mit Gas, Kohle und Öl ihre Profite machen. Die Industriestaaten haben von Paris an sie das Signal gesendet: Wir werden Euch nicht sonderlich wehtun. Der Planet und zukünftige Generationen sind sekundär. Die Medien überschlagen sich in Feierlaune. "Die Welt feiert das Klimaabkommen", titelt die Berliner Zeitung. Offensichtlich gehört zur Welt nicht die Weltbevölkerung, insbesondere die in den Entwicklungsländern.

Selbst technisch gesehen ist das Pariser Abkommen ein Rückschritt gegenüber dem Rohrkrepierer "Kyoto-Protokoll", das noch bindende Ziele enthielt. Auch beim Klimagipfel in Cancun wurden Versprechungen gemacht, ohne Rücksicht auf Emissionsbudgets, ohne faire Verteilung der Treibhausgase, ohne Sanktionsmechanismen. Das Ergebnis ist bekannt. Die Komplizenschaft der Medien bei diesem Spiel ist im tiefsten Sinne unjournalistisch, schamlos und unmoralisch. Es geht nicht um bloße Zahlen und Meinungen zu einem x-beliebigem Thema. Es geht um unsere Existenz und der Zeitdruck ist sehr hoch, wenn nicht enorm. Die Frage, die wir uns ehrlich stellen müssen, ist: Wollen wir, dass katastrophaler Klimawandel in unserem Namen geschieht? Wollen wir weiter an der Seitenlinie stehen und hoffen, dass am Ende doch alles gut wird, auch wenn die Emissionen ein vollkommen andere Sprache sprechen? Die Klimagipfel-Truman-Show ist vorbei. Willkommen in der Klimarealität.