Rehman sieht in der Klimakrise "code red" erreicht für die Menschheit. Die Krise sei verbunden mit vielen anderen Krisen wie der Pandemie, Ungleichheit und Austerität. Die Frustration darüber wachse, daher würden Millionen auf die Straße gehen. Aber auf der COP werden diese Stimmen ausgegrenzt von den Verhandlungen. Die COP sei ein großer Greenwash. Die Versprechen von Regierungen und Unternehmen seien die gleichen wie vor zehn Jahren. Aber sie sind weder transparent noch hinterlegt mit Maßnahmen, so Rehman. Man brauche nun Taten und nicht nur Worte. Doch der Öffentlichkeit werde mit Klimaneutralität und falschen Lösungen Sand in die Augen gestreut, mit Hilfe der Medien. Jetzt bleiben nur noch 10 Jahren, um das Ruder rumzureißen. Es brauche dafür einen echten Green New Deal und Klimagerechtigkeit. Die reichen Staaten müssten bis 2030 dekarbonisieren. Es brauche nicht nur einen Wechsel von fossilen zu erneuerbaren Energien, sondern auch einen gerechten Übergang insbesondere in Hinsicht auf den Globalen Süden und indigene Gruppen, deren Recht gewahrt werden müssten. Hoffnung auf die Wende geben ihm die erfolgreichen Proteste von Chile bis Indien.
Asad Rehman ist Direktor von War on Want. Er war Leiter für internationales Klima bei Friends of the Earth. Rehman war zudem in Vorständen von Amnesty International UK, Friends of the Earth International und Global Justice Now. Er ist Sprecher von COP26 Coalition, einer Organisation, die die Proteste und den Peoples Summit for Climate Justice in Glasgow organisiert.
David Goeßmann: Asad Rehman, gestern gab es große Demonstrationen und Sie haben sie organisiert. Wie ist die Stimmung in den Bewegungen im Moment und wie stehen die Chancen, die Regierungen unter Druck zu setzen, das Richtige zu tun?
Asad Rehman: Gestern haben Millionen von Menschen auf der ganzen Welt demonstriert. Über 150.000 Menschen hier in Glasgow, Zehntausende in Großbritannien und in ganz Europa und buchstäblich aus jedem Land von Brasilien über Uganda bis Taiwan und Südkorea. Die Menschen erkennen nicht nur, dass wir uns in einer Klimakrise befinden, im Code Red für die Menschheit, und wir sie schnell bewältigen müssen. Sie sehen auch, dass die Krise mit anderen Krisen verbunden ist, von der Covid-Pandemie und der Ungleichheit bei Impfstoffen bis hin zu Sparmaßnahmen. Es herrscht tiefe Frustration und Wut. Und das ist es, was die Menschen auf die Straße bringt. Vor allem, weil wir, die Bürger:innen, die die Augen, Ohren und Stimme der Menschen sind, von den Verhandlungen ausgeschlossen sind. Wir wurden vom Veranstaltungsort ausgesperrt, und so gehen die Menschen auf die Straße und kommen hierher zum Gegengipfel der Völker. Nicht nur, um darüber zu diskutieren, was in der Welt falsch läuft, sondern auch, um zu erörtern, was unsere Pläne zur Lösung dieser Krise sind. Was sind unsere Strategien? Wie können wir kollektive Macht aufbauen? Wie können wir sowohl in unseren eigenen Ländern als auch grenzüberschreitend zusammenarbeiten. Was wir bei den Klimaverhandlungen gesehen haben, ist wirklich eine Menge Greenwash. Ja, unsere politischen Führer, sei es der britische Premierminister Boris Johnson oder US-Präsident Joe Biden, haben vollmundige Reden zum Thema Klima gehalten. Sie sagen, sie haben verstanden. Aber sie legen keine politischen Pläne zur Bewältigung der Krise vor. Sie tun nicht ihren Teil, um die Temperatur unter 1,5 Grad zu halten. Sie haben ihr Versprechen von 100 Milliarden Dollar Klimafinanzierung, ein Tropfen auf den heißen Stein angesichts der Krise, noch nicht eingelöst. Sie weigern sich, die Haftung für Schäden zu übernehmen. Stattdessen hören wir Verlautbarungen. Außerhalb des UN-Prozesses werden Erklärungen von multinationalen Unternehmen abgegeben, und zwar von denselben Unternehmen, die diese Krise verursacht haben und die jetzt sagen: Vertraut uns, wir werden diese Krise lösen. Aber wir haben diese Versprechen schon einmal gehört. Viele der Aussagen, die gemacht werden, wurden schon vor einem Jahrzehnt gemacht und nicht eingehalten. Und jetzt sagt man uns wieder: Vertraut uns. Die Unternehmen sind nicht transparent, wir können sie nicht zur Rechenschaft ziehen. Es sind nur vage Versprechen. Was zählt sind aber harte Verhandlungsfakten. Und wenn die britische Regierung und der US-Präsident sich so sehr für die Bewältigung der Klimakrise einsetzen, dann sollten sie ihre Aktionspläne dem anpassen. Stattdessen sind beide Länder im Begriff, weiter fossile Brennstoffe zu fördern. Mehr schmutziges Öl, mehr schmutzige Kohle, mehr Gas. Sie kehren den Menschen im globalen Süden den Rücken zu. Sie sagen, wir werden 130 Billionen Dollar aufbringen, um die Klimakrise zu lösen. Wenn sie nicht einmal 100 Milliarden aufbringen, wie sollen wir ihnen dann zutrauen, 130 Billionen aufzubringen?
David Goeßmann: Die Stimmen des globalen Südens werden oft ausgeklammert oder unterdrückt, wenn es um Lösungen für die Krise geht. Warum sind diese Stimmen so wichtig?
Asad Rehman: Wir wissen, dass die Lösung der Klimakrise ohne die Überwindung von Ungleichheit keinen Sinn macht. Oft sind für beides die gleichen Lösungen erforderlich. Es ist nicht möglich, sich den Weg aus der Krise zu graben oder zu verbrennen, indem man sagt: "Wir werden einfach weiter unendlich wachsen. Wir werden eine neue Welle grünen Kolonialismus und grüner Extraktion starten“. Das ist die Realität der Menschen an der Front. Es handelt sich also um sehr unterschiedliche Lösungen. Wie können wir also unser Energiesystem nicht nur von fossilen Brennstoffen auf erneuerbare Energien umstellen, sondern auch sicherstellen, dass wir die Energiearmut bekämpfen? Wie verbleiben wir innerhalb der Grenzen des Planeten? Wie stellen wir sicher, dass jeder das Recht auf ein menschenwürdiges Leben und existenzsichernde Löhne hat? Das sind Pläne und Maßnahmen, die Bewegungen bereits seit Jahrzehnten diskutieren und dafür kämpfen. Wir haben solche Pläne schon vor Jahrzehnten auf den Tisch gelegt. Und sie wurden ignoriert. Jetzt, wo wir am Rand der Katastrophe stehen, sehen die Menschen, dass das, was wir gesagt haben, genau das ist, was gebraucht wird. Und die Pläne werden jetzt von jungen Klimastreikenden aufgegriffen, von neuen Bewegungen, die sagen: Wir wissen, was getan werden muss.
David Goeßmann: Sie haben bereits von falschen Lösungen gesprochen. Was sind die falschen Lösungen? Was ist so gefährlich an ihnen?
Asad Rehman: Man kann natürlich die Kohlenstoffbücher fälschen. Aber man kann die Klimawissenschaft nicht täuschen. Die Klimawissenschaft ist sehr eindeutig. Wir haben ein Kohlenstoffbudget, um die Temperatur bestenfalls auf unter 1,5 zu begrenzen. Im günstigsten Fall haben wir weniger als 10 Jahre Zeit, um unsere Emissionen zu senken. Und was zählt, sind unsere akkumulierten Emissionen, also das, was wir jetzt emittieren, nicht das, was wir irgendwann in der Zukunft ausstoßen werden. Denn alles das erhöht die Temperatur. Was wir hier unter der Rubrik "Netto-Null" hören von Regierungen und Unternehmen bedeutet: Lasst uns mit der Verschmutzung weitermachen und irgendwann in ferner Zukunft werden wir Technologien erfinden, die den Kohlenstoff aus der Atmosphäre saugen. Niemand weiß, was passiert, wenn man die Temperatur erhöht und versucht, sie später zu senken. Was wir wissen, ist, dass bei einer Erhöhung der Temperatur das Leben und die Lebensgrundlage der Menschen verloren gehen. Unsere Ökosysteme geraten aus dem Gleichgewicht. Wir sehen das Abschmelzen der Arktis und der Antarktis. Der Meeresspiegel steigt. Mit riskanten Technologien wird im Grunde die Zukunft der Menschheit und unser Planeten aufs Spiel gesetzt. Das ist der Grund, warum es so gefährlich ist. Es ist einfach ein Freibrief für die weitere Verschmutzung.
David Goeßmann: Was ist mit den Medien? Berichten die Medien korrekt über die Krise und den Kurs, auf dem wir uns jetzt befinden? Wir befinden uns auf einem Kurs, der wahrscheinlich zu einem Temperaturanstieg von drei Grad plus in der Zukunft führt.
Asad Rehman: Leider übernehmen viele Medien nur die Aussagen der britischen Regierung und geben sie wieder. Wir haben sehr kritische mit den britischen Medien diskutiert. Wir sagten: Nur weil die britische Regierung ihnen morgens eine E-Mail oder Pressemitteilung schickt, ist es nicht Ihre Aufgabe, sie einfach wiederzugeben. Als Medienvertreter ist es eure Aufgabe, sie zu hinterfragen. Sie müssen herausfinden, ob das, was sie verkünden, auch wirklich der Wahrheit entspricht. Die Stimmen der Klimawissenschaftler und der Akademiker müssen an Bord geholt werden. Und was wir stattdessen sehen, ist ein wirklich sehr fauler Journalismus. Zu viele Journalisten, vor allem im globalen Norden stellen das eigene Land als Klimachampion dar. Sie sagen: Die Schuld liegt bei jemand anderem. Es ist nicht unsere Schuld. Sie blenden die Realität der Klimawissenschaft und der Klimagerechtigkeit aus. Und zugleich unsere Rolle als reiche Industrieländer bei der Schaffung dieser Ungerechtigkeit.
David Goeßmann: Die Bewegungen fordern ein Green New Deal und Klimagerechtigkeit. Was bedeutet das und wie sollte es aus Ihrer Sicht umgesetzt werden?
Asad Rehman: Ein globaler Green New Deal ist ein radikaler Vorschlag, ein radikaler Rahmen. Es gibt viele verschiedene Sprachen und Begriffe dafür in verschiedenen Regionen. In Lateinamerika nennt man es den Ökosozialpakt. In Afrika ist es der ökofeministische Pakt. Es ist im Prinzip ein gerechter Übergang. Es ist die Erkenntnis, dass wir die Temperatur unter 1,5 Grad begrenzen müssen. Aber das muss auf faire Weise geschehen. Das bedeutet also, dass die reichen Länder bis 2030 dekarbonisiert sein müssen. Es bedeutet, dass wir die globale Ungleichheit und Armut bekämpfen müssen. Es bedeutet, dass wir innerhalb der planetarischen Grenzen leben müssen. Es bedeutet, dass es kein nicht-nachhaltiges Wachstum und keinen Raubbau mehr geben darf. Und es bedeutet, dass wir anerkennen, dass die Ungerechtigkeiten, mit denen wir heute konfrontiert sind, auf Ungerechtigkeiten zurückzuführen sind, die in unseren wirtschaftlichen und politischen Systemen fest verankert sind. Das reicht von Sklaverei über Kolonialismus und Imperialismus bis hin zu Neoliberalismus, Rassismus und Patriarchat. Diese sind so tief verwurzelt, dass man es für okay hält, wenn Menschen und Planet geopfert werden. Man kann die Ärmsten der Welt opfern, man kann schwarze, braune, indigene Menschen und Frauen opfern. Um das zu ändern, muss man all diese Dinge angehen. Wir können es schaffen. Es bedeutet nicht nur, dass wir von fossilen Brennstoffen auf erneuerbare Energien umsteigen. Es bedeutet, dass wir von fossilen Brennstoffen zu Energie als öffentlichem Gut übergehen. Gleichmäßig verteilt, gerecht geteilt. So können wir die Energiearmut bekämpfen. Bei den Lebensmitteln heißt es nicht nur: "Lasst uns auf Bio umsteigen“, als ob das eine Lösung wäre. Es geht darum, dass Ernährung ein Recht sein sollte, die Lebensmittel von den Menschen kontrolliert werden, damit wir den Planeten kühlen und die Menschen ernähren können. Wir wissen, dass wir genug Nahrungsmittel produzieren können, um die ganze Welt damit dreimal zu ernähren. Dennoch hungern zwei Milliarden Menschen. Und warum? Weil wir ein kaputtes Lebensmittelsystem haben. Das bedeutet, dass wir den Menschen existenzsichernde Löhne, sozialen Schutz und Zugang zu allgemeinen Dienstleistungen garantieren müssen. Das sind genau die Dinge, die der globale Norden genutzt hat, um sich während der Pandemie zu schützen. Es bedeutet auch, die Weltwirtschaft in Ordnung zu bringen, die Reichen zu besteuern, unser Handelssystem in Ordnung zu bringen, das die Macht der schmutzigen Energiekonzerne garantiert. Es bedeutet Reparationen, die Rückzahlung der Schulden, die der globale Norden gegenüber dem globalen Süden aufgehäuft hat. Billionen Dollar sind aus dem globalen Süden geflossen, um die Entwicklung des globalen Nordens zu ermöglichen. Wir brauchen eine gerechte Verteilung sowohl der Finanzen als auch der Technologien. So können Technologien gemeinsam genutzt werden. Heute braucht es Kooperation und Solidarität, nicht Wettbewerb und Profit.
David Goeßmann: Was gibt Ihnen Hoffnung?
Asad Rehman: Was mir Hoffnung gibt, sind die Menschen, die Macht der Zivilgesellschaft, die Menschen, die auf die Straße gehen. Gestern sind so viele auf die Straße gegangen, über den ganzen Tag. Was mir Hoffnung gibt, sind die Bewegungen vor Ort, die sich der Macht der multinationalen Konzerne widersetzen. Was mir Hoffnung gibt, ist die unglaubliche Energie, die wir überall auf der Welt erleben. Sehen Sie sich Chile an. Die Wiege des Neoliberalismus wurde von einer Bewegung der Bewegungen gestürzt. Schauen Sie sich die Hunderte von Millionen von Bauern an, die in Indien gegen das BJP-Regime und die Macht der Konzerne auf die Straße gehen. Überall brennt diese Widerstands-Flamme, weil jeder weiß, dass die Welt und unsere Wirtschaft gegen die Menschen gerichtet ist. Unsere Herausforderung besteht nun darin, diese Wut in Lösungen zu verwandeln und die Welt zu schaffen, die wir wollen.