10.10.2013
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Saskia Sassen, Professor für Soziologie an der Columbia University, New York, Gastprofessorin an der London School of Economics, Autorin zahlreicher Bücher, darunter "The Global City"

Bei der radikalen Verarmung von Ländern wie Griechenland und Spanien gehe es nicht nur um wachsende soziale Ungleichheit, sondern um eine Form der Vertreibung, sagt Saskia Sassen. Immer mehr Menschen würden im Wirtschaftssystem nicht mehr gebraucht und daher dauerhaft ausgeschlossen. Das gelte auch für die USA, wo große Teile der Bevölkerung im Gefängnissystem verschwinden. Um Investoren anzuziehen und die Lage schönzurechnen, würden einfach die Grenzen des Systems neu definiert, ein erheblicher Teil der Bevölkerung werde gar nicht mehr mitgezählt. So fallen etwa Langzeitarbeitslose vollständig aus den Statistiken heraus – sie werden unsichtbar. Eine zentrale Rolle bei diesem Prozess spielen die Finanzmärkte, die in immer neue Bereiche vordringen.

Eine andere Form von Vertreibung und Ausschluss ist das sogenannte Land Grabbing. Staaten und transnationale Unternehmen kaufen in Afrika, Asien und Lateinamerika riesige landwirtschaftliche Flächen auf, bisher schätzungsweise 200 Millionen Hektar. Besonders durch den Anbau von Agrartreibstoffen für Biodiesel und E10-Benzin werden Menschen von ihrem Land vertrieben und Landschaften durch Monokulturen ersetzt. Auf diese Weise entstehe auf Dauer eine immer größer werden Fläche von totem Land. Zu den größten Käufern gehören Banken wie Goldman Sachs und J.P. Morgan sowie Hedge Fonds.

Seit Ausbruch der Finanzkrise sind etwa 30 Millionen Menschen in den USA aus ihren Häusern zwangsgeräumt worden – und die Räumungen gehen unvermindert weiter. Viele dieser Menschen sind obdachlos und leben in Zeltstätten oder improvisierten Camps in der Wüste. Hintergrund dieser sozialen Katastrophe sei die Aufblähung der Finanzmärkte, auf denen 14 mal so viel Geld zirkuliere wie das Weltsozialprodukt – Geld, das keinen realen Gegenwert habe, so Sassen. Um ihren Finanzprodukten einen Schein von Gegenwart zu verleihen, hätten Großbanken zahlungsschwachen Bürgern Hypotheken aufgedrängt und daraus komplexe Derivate hergestellt – mit verheerenden Folgen. Auch in Europa seien diese Finanzprodukte sehr verbreitet, allein in Ungarn gab es in eine Million Zwangsräumungen. In Städten wie Berlin würden außerdem immer mehr Menschen durch den wachsenden Raumbedarf globaler Eliten verdrängt.

Die enorme Ausweitung des Überwachungsstaates sei auch eine Form des Ausschlusses, so Sassen: Bürger würden von elementaren Rechten ausgeschlossen und zu bloßen Objekten degradiert. Dabei sei das Überwachungs- und Spionagesystem extrem ineffektiv, wenn es etwa um die Verfolgung von Terrorismus ginge. Jüngst sei eine Geheimabteilung mit 4.000 Mitarbeitern innerhalb der NSA enthüllt worden, die nur für die Überwachung der eigenen Geheimdienstmitarbeiter zuständig sei. Profiteur dieses absurden Systems sei vor allem die Sicherheitsindustrie, die Milliardenumsätze macht. Die USA seien zwar noch kein faschistisches Land, aber es gebe eine Reihe von „räuberischen Formationen“, die sich zu einem „schlüsselfertigen Staat“ zusammensetzen ließen.