17.11.2021

Die bitteren Tränen des Klimagipfel-Präsidenten Alok Sharma

Von: David Goeßmann


Prinzip Greenwashing

Dem britischen COP26-Präsidenten Alok Sharma bricht die Stimme, als er die Verabschiedung des Abkommens von Glasgow verkündet. Er hat Tränen in den Augen, als er mitteilt, dass die Formulierung beim Kohleausstieg abgeschwächt werden musste. Indien und China hätten das gefordert. Das Bild vom bewegten Klimagipfel-Präsidenten geht um die Welt. Die Presse bringt Schlagzeilen wie: Indien und China „schwächen Erklärung in letzter Minute ab“. Die Botschaft ist: Hier die ambitionierten Industriestaaten, die die Wende wollen, dort die Schwellenländer, die bremsen. Die Realität sieht freilich etwas anders aus.

Die Weltklimapolitik der reichen Länder wurde in Glasgow erneut schön geredet, jedes Versprechen als Fortschritt gefeiert und falsche Hoffnung verbreitet. Das Treffen von fast 200 Staatsdelegationen mit über 30.000 Teilnehmer*innen wurde wie schon in der Vergangenheit als Waschmaschine genutzt, in die die Regierungen der Industriestaaten und multinationale Konzerne ihre schmutzige Klimawäsche stecken durften. Greta Thunberg bringt es auf den Punkt: Die COP26 war ein Greenwash-Festival, zudem das exklusivste und weißeste Gipfeltreffen. Selbst das „Blablabla“ sei am Ende noch verwässert worden. Sechs Jahre nach dem umjubelten Gipfel in Paris stehen wir heute mit gleicher Emissionslast von 40 Milliarden Tonnen CO2 pro Jahr vor dem Rand des Abgrunds. Doch die Industriestaaten zeigen weiter kein Interesse, den Schutz des Planeten über kurzfristige Profite zu setzen.

Die Ministerpräsidentin des Inselstaats Barbados Mia Mottley hat den Ernst der Lage als eine der wenigen Staatschef*innen erkannt. In ihrer Rede vor der Versammlung verwies sie auf die klaffenden Lücken hinter den netten Worten. Sowohl bei den Angeboten zur Emissionsreduktion, als auch bei der Klimafinanzierung und Unterstützung zur Bewältigung von Klimaschäden ließen die reichen die armen Länder im Regen stehen. Sie tricksten bei ihren Klimaplänen mit Zukunftstechnologien, täuschten die Welt, um weiter Kohle, Gas und Öl zu verbrennen. Sie handelten unmoralisch und rücksichtslos.

„When will leaders lead?“, fragt sie.

So hätten die Zentralbanken der reichsten Staaten in den letzten zehn Jahren 25 Billionen Dollar zur Stimulierung der Wirtschaft mobilisiert, neun Billionen allein für den Kampf gegen die Pandemie in den letzten 18 Monaten. Mit diesen Summen könnten die globale Energie-, Agrar- und Transportwende sofort umgesetzt werden und garantieren, dass die 1,5 Grad Erderhitzung nicht überschritten werde.

„Wie viele Schreie der Menschheit, wie viele Bilder des Leids müssen wir noch sehen, damit die 200 hier Versammelten endlich reagieren?“

Wie schon nach den Gipfeln von Berlin, Kyoto oder Paris werden sich die, die angesichts der Last-Minute-Einigung in Glasgow erleichtert aufatmen, mit der Tatsache danach auseinandersetzen müssen, dass die Kohlenstoffdioxid-Konzentration in der Atmosphäre weiter steigen, die globalen Emissionen nicht oder kaum sinken und die Gelder in fossile Energien fließen werden, während die Erderhitzung Verwüstungen vor allem in den ärmeren Ländern nach sich zieht. Denn das ist die Konsequenz aus dem Glasgower Weiter-So. Die COP26 hat praktisch nichts am Crashkurs geändert. Wer sich die konkreten Klimapläne und -ziele der Länder anschaut, wer die fossilen Subventionen und Investitionen im Blick hat, wer das rasch schmelzende Restbudget beachtet, der kommt unweigerlich zu dem Schluss, dass wir sehenden Auges in die Katastrophe gesteuert werden.

Journalisten als Stenografen der COP-Macher

Das fatale Grünwaschen der Klimapläne der Staaten auf der Weltbühne funktioniert aber nur deswegen so gut, weil die etablierten Medien erneut versagen, zu berichten, was ist. Asad Rehman von War on Want, einer der Sprecher der Organisation COP26 Coalition, die den Gegengipfel People‘s Summit for Climate Justice und die Proteste in Glasgow koordiniert hat, formuliert es so auf Kontext TV: Es sei nicht die Aufgabe von Journalisten, Regierungs-PR und Versprechen einfach weiterzugeben. Sie müssten sie hinterfragen.

Doch das wurde nicht getan. Stattdessen verkaufte man Worte für bare Münze, ohne mitzuteilen, dass die Münzen nichts wert sind: Kohle-Ausstieg bzw. -Minderung (irgendwann irgendwie, die entscheidenden Förderländer machen gar nicht mit, was ist mit Öl und Gas?). Mehr Geld von der Finanzindustrie in saubere Energie (viel zu wenig, in die Hand versprochen, ohne Verpflichtung und Transparenz, auch kein Stopp der fossilen Investments in Sicht). Die Industriestaaten wollen hundert Milliarden US-Dollar für die Klimafinanzierung bis 2023 mobilisieren (zu spät, viel zu wenig, meist nicht zusätzlich sowie in Form von Krediten).

Doch trotz des offensichtlichen Versagens folgten die meisten Journalisten brav der Dramaturgie der COP-Macher, schraubten die Erwartungshaltung auf ein Minimum herunter, so dass praktisch jede Ankündigung als Durchbruch vermeldet werden konnte. So zeigte sich die Presse entzückt, dass „fossil fuels“ zum ersten Mal in einen COP-Text aufgenommen wurde. Am Ende des historischen Gipfels wurden „Erfolge und Misserfolge“ von den Kommentator*innen gegeneinander ausbalanciert und von einer "guten Klimakonferenz" gesprochen. Als ob sich die globale Katastrophe um Rhetorik und Marketing kümmert.

Angesichts des Klimanotstands hätte der planetare Bankrott eigentlich Topthema sein müssen, in allen Zeitungen, auf allen Kanälen. War es aber nicht. In der Tagesschau mit täglich zehn Millionen Zuschauer*innen konnte man eine Handvoll belangloser Beiträge irgendwo in der Sendungsmitte während der zwei Verhandlungswochen finden, wenn man mal vom Abschlusstag absieht. Auf Tagesschau24 und Tagesschau Online zeigte sich der ARD-Korrespondent Werner Eckert in Glasgow beflissen, die offizielle Storyline der COP nicht zu verlassen und reihte einen historischen Fortschritt hinter den nächsten. Es werde versprochen, so Eckert, die Kohlenutzung abzusenken und Subventionen für fossile Energieträger auslaufen lassen. Klimaneutralitätsbekenntnis der Finanzindustrie bis 2050. Methan-Initiative, Waldschutz-Initiative, Auto-Initiative …. Die TAZ titelte ebenfalls ergriffen: „Der Anfang vom Ende von Öl und Gas“ und „Plus-2-Grad-Ziel ist greifbar nahe“. Auch in anderen Ländern war die Berichterstattung nicht viel besser. Selbst der britische Guardian, der oft hintergründiger über die Klimakrise berichtet, vermeldete unkritisch, dass mit den nationalen Klimazielen von Glasgow sogar 1,8 bis 1,9 Grad Celsius möglich seien, wenn alle Länder ihre angepeilten Klimaziele erreichen würden.

Willkommen in der Emissionsrealität

Das ist eine „sehr irreführende Interpretation der Emissionsrealität“, sagte Kevin Anderson im Interview auf Kontext TV. Anderson ist ein führender Klimawissenschaftler, ehemaliger Direktor des renommierten Tyndall Center for Climate Change Research. Er durchleuchtet seit langem die CO2-Budgets und Klimaziele in Bezug auf die daraus resultierende Erderwärmung. Wir befinden uns, so Anderson, tatsächlich eher auf einem Pfad Richtung 3 bis 4 Grad Temperaturerhöhung.  

„Die Chance, dass wir mit einem Bollerwagen bei 4 Grad Celsius Richtung Hölle ziehen, liegt um die 95 Prozent. Wir haben eine 5-prozentige Chance, das zu verhindern. Das wird nicht per Zufall geschehen. Die 5-Prozent-Chance ist eine bewusste Wahl. Wir können also wählen, zu siegen oder zu versagen.” Würden die Emissionen in diesem Jahrzehnt nicht drastisch reduziert, müssten die nachwachsenden Generationen „auf einem anderen Planeten leben“. Es bedeute den „Kollaps vieler unserer Öko- und gesellschaftlichen Systeme“.

Selbst eine Erwärmung von „nur“ 2,4 oder 2,7 Grad, die als mögliche Obergrenzen des gegenwärtigen Klimakurses propagiert und als Fortschritt gegenüber dem Pariser Gipfel gepriesen werden, sind nach Anderson mit den nationalen Reduktionszielen von Glasgow nicht erreichbar. Denn diese Erwärmungen beruhen letztlich auf kompromittierten Emissionsszenarien. So werde davon ausgegangen, dass in Zukunft spekulative Technologien wie die Verpressung von Kohlendioxid unter der Erde (CCS, BECCS) große Mengen an Treibhausgasen kompensieren. Das sei aber in der angedachten Dimension bisher gar nicht machbar und mit Risiken verbunden. Rechnet man die illusorische Emissionsminderung heraus, worunter auch unrealistische Aufforstungsprogramme fallen, sei die Welt tatsächlich auf einem Kurs, der mindestens 3 Grad plus bedeutet.

„Man hat den Begriff von ‘netto-null’ und ‘Klimaneutralität’ entwickelt, um den reichen Staaten zu erlauben, die Last der Emissionsreduktion auf zukünftige Generationen zu verschieben. Es ist ein leeres Konzept und absolut bedeutungslos. Es ist die akademische Version für: auf Zeit spielen”, sagt Anderson.

Die Situation wird noch verschärft dadurch, dass, wie sich bei Recherchen der Washington Post herausstellte, die der UN gemeldeten Treibhausgase der Länder deutlich niedriger sind als die tatsächlich ausgestoßenen. Die Fehlerquote beträgt bis zu 25 Prozent. Das entspricht dem Treibhausgasausstoß von China. Eine enorme Unterberichterstattung. Da sollten alle Alarmglocken angehen. Doch der Kurs, auf dem wir uns befinden, wird von denen, die die Bürger*innen informieren sollten, weiter unter den Teppich gekehrt.

Für das Versagen und Grünwaschen sind vor allem die Industriestaaten verantwortlich. Denn selbst ambitionierte Länder wie Schweden oder Großbritannien sind weit entfernt vom Notwendigen, wie eine Untersuchung zeigt. Ihre Klimapläne entsprechen keineswegs dem Paris-Abkommen, sondern steuern Richtung 2,5- bis 3-Grad-Erderhitzung. Das liegt daran, dass der Gerechtigkeitsaspekt bei der Verteilung des Restbudgets an Treibhausgasen in den Plänen komplett ausblendet werde, um sie Paris-konform erscheinen zu lassen.

„Die Länder gehen davon aus, dass ihr Reduktionstempo dem der Entwicklungsländer entspricht. Das ist aber unvereinbar mit dem Prinzip der ‚gemeinsamen, aber geteilten Verantwortung‘, dem Gerechtigkeitsprinzip, dem sich die Industriestaaten seit der Klimadiplomatie der 90er Jahre immer wieder aufs Neue verpflichten“, so Anderson.

Zudem werde mit negativen Emissionen gearbeitet, die die Reduktionsleistung größer erscheinen lassen als sie tatsächlich sei.

Klima-Almosen vs. 2 Billionen fürs Militär

Auch in Sachen Klimafinanzierung, die die Energiewende und Anpassungsmaßnahmen gegen die Klimafolgen in ärmeren Ländern ermöglichen soll, wird weiter über die Realität hinweggeschaut. Die angebotenen 100 Milliarden Dollar seien ein Tropfen auf den heißen Stein, wie Asad Rehman es im Interview mit Kontext TV ausdrückt. Studien halten jährlich mindestens eine Billion Dollar in den nächsten Dekaden für notwendig, um Emissionsminderung, Infrastrukturumbau und Schutzprojekte im Globalen Süden zu finanzieren. Inselstaaten wie Barbados verlangen daher mindestens eine Aufstockung auf 500 Milliarden Dollar, Indien auf eine Billion. Frage: Wie viel Diskussion hat es darüber gegeben?

Doch die Industriestaaten mauern. Nicht mal die 100 Milliarden konnten wie versprochen bis 2020 erreicht werden, am Ende waren es nur 80 Milliarden. Für Anpassungsmaßnahmen werden zudem nur 20 Prozent der Summe ausgegeben, nicht wie festgesetzt 50 Prozent. Die meisten Gelder sind auch gar nicht zusätzlich gezahlte Mittel, sondern oft umetikettierte Entwicklungshilfe und Kredite. Wie aber sollen überschuldete Staaten mit mickrigen Almosen und zusätzlichen Schulden in drei Jahrzehnten in eine neue Energie-Ära mit Solarpanelen, Windrädern, Geothermie-Kraftwerken, Stromspeichern und Elektro-Mobilität katapultiert werden und sich gleichzeitig gegen die Klimaschäden schützen?

Währenddessen geben die „Anführer der freien Welt“ fast 2 Billionen US-Dollar jedes Jahr für Militär und Kriege aus. „Das Militär ist ein zentraler Sektor, der verhindert, dass wirklich etwas gegen die Klimakrise getan wird“, sagt der nigerianische Umweltaktivist Nnimmo Bassey gegenüber Kontext TV. So gehen sechs Prozent der Treibhausgase laut Schätzungen auf das Konto der Streitkräfte. Das Militär insbesondere in den USA, Großbritannien und der EU ist damit der größte Einzelverschmutzer. Doch bisher sind die Staaten nicht einmal verpflichtet, vollständige Daten über den CO2-Fussabdruck ihrer Armeen zu liefern. Zudem heize der Run auf fossile Ressourcen Kriege wie die im Irak oder Libyen an, während Dürren Konflikte wie in Syrien entzünden, sagt Bassey. Die kriegerische Zerstörung von Infrastruktur verringere darüber hinaus die Widerstandsfähigkeit der Staaten gegenüber der Klimakrise. Das zeige sich besonders in Afrika. Schon jetzt sei der Kontinent stark betroffen von der Klimakrise durch schwere Dürren, Überschwemmungen und Zyklone. Das liegt auch daran, dass die Erderhitzung in Afrika um 50 Prozent höher ist im Vergleich mit dem globalen Durchschnitt. Das heißt: 1,5 oder 2 Grad bedeuten für Afrika deutlich mehr.

„Letztlich lassen wir Afrika damit verbrennen.“

Die Klimabewegungen fordern daher: Kohle, Öl und Gas müssen im Boden bleiben. Sie haben einen „Nichtverbreitungspakt für fossile Brennstoffe“ ins Leben gerufen. Die Industriestaaten sollten sofort damit beginnen, aus der fossilen Energie auszusteigen, nicht erst in zehn Jahren. Das gebe den armen Ländern Zeit, zu dekarbonisieren. Zudem müssten die Industriestaaten Klimagerechtigkeit und die historische Klimaschulden wieder ins Zentrum stellen, mahnt Bassey. Denn der globale Süden habe ein Anrecht auf Reparation aufgrund der Übernutzung der Atmosphäre durch den reichen Norden.

Die 25-Billionen-Dollar-Infrastruktur

Viele, auch Umweltverbände, saugen demgegenüber Hoffnung aus den Versprechen der Konzerne und Finanzindustrie in Glasgow, mehr für Klimaschutz zu tun. Eine trügerische und letztlich naive Hoffnung. Denn es fließen tagtäglich weiter enorme Summen in Kohle, Gas und Öl (begleitet von 11 Millionen Dollar jede Minute an Steuergeldern, um die Fossilen rentabel zu halten).

„Die globale Infrastruktur der fossilen Extraktion, Verarbeitung und Distribution besitzt einen Wert von ungefähr 25 Billionen Dollar oder 0 Dollar, je nachdem, in welche Richtung der politische Wind weht. Die fossilen Konzerne werden alles in ihrer Macht stehende tun, um ihre Investments zu schützen“, schreibt der Umweltjournalist George Monbiot vom Guardian.

So plant die Brennstoffindustrie im nächsten Jahrzehnt 250 Milliarden US-Dollar allein in Afrika zu investieren. Bis 2050 will man 1,5 Billionen Dollar an Investitionen für die fossile Produktion auf dem afrikanischen Kontinent mobilisieren, berichtet Bassey. Das Geld kommt dabei von denselben Finanzunternehmen, die gleichzeitig vorgeben, klimaneutral zu werden. Es geht der Finanzindustrie primär um Gewinne für die Kapitaleigner, egal, wie schädlich sie für den Planeten sind. Und in Sachen Ressourcen hat Afrika einiges zu bieten. In Uganda bohren Ölkonzerne schon heute nach Öl und exportieren es durch Pipelines in Tansania. Kanadische Unternehmen suchen nach Öl im Okavango-Gebiet, in Botswana und Namibia. Proteste dagegen werden oft gewaltsam unterdrückt. So sind über 1000 Umweltschützer*innen weltweit seit dem Pariser Klimagipfel 2015 getötet worden. Die Täter bleiben meist straffrei.

All die Blendgranaten und das planetare Versagen der Industriestaaten mit ihren fossilen Industrien, die sie weiter unter Protektion stellen, waren aber nicht das große Thema in Glasgow. Nein, es waren die Tränen des britischen COP-Präsidenten und das Versagen von Indien und China, die am Ende Schlagzeilen produzierten. Sicherlich, die Schwellenländer müssen in Zukunft ihre Emissionen ebenfalls herunterfahren. Sie brauchen dafür die Hilfe und Kooperation der Industriestaaten. Aber die ärmeren Länder sind nicht das Problem. Die Menschen dort stoßen auch heute noch deutlich weniger Emissionen pro Kopf aus als wir in den Industriestaaten, während ein beträchtlicher Teil der Treibhausgase in China und Indien zurückzuführen ist darauf, dass die Industrien dort Konsumgüter für die USA und EU herstellen.

Klimaaktivistin Mitzi Jonelle Tan von den Philippinen, Klimapolitikexperte Saleemul Huq aus Bangladesch, indigene Gruppen vom amerikanischen Kontinent oder Asad Rehman von der COP26 Coalition verurteilen den Pakt von Glasgow daher zu Recht als Betrug an den Menschen, die am meisten unter dem Klimanotstand leiden. Der Grund für das ständige Versagen ist hausgemacht. Denn was soll schon bei einer Klimakonferenz herauskommen, bei der sich die fossilen Lobbys im Vorfeld des Kongresses mit der COP-Organisation treffen und absprechen? Was soll schon bei einer Weltklimakonferenz herauskommen, wenn der COP-Präsident Alok Sharma Gelder aus fossilen Finanzkreisen erhält? Was soll schon bei einer Weltklimakonferenz herauskommen, bei der die fossile Brennstoffindustrie mit über 500 Vertreter*innen die größte Delegation stellt. Das sei, so der ehemaliger Direktor von Greenpeace International Kumi Naidoo gegenüber Kontext TV, wie wenn die Anonymen Alkoholiker einen Kongress organisieren, zu dem die Alkoholindustrie die meisten Vertreter*innen schickt.

Seit Kopenhagen und Paris hat es von den Staaten nur freiwillige Selbstverpflichtungen ohne Sanktionsmechanismus gegeben. Auch bei der Frage von „Loss and Damage“ gibt es auf der COP26 keinen Fortschritt. Die reichen Staaten sind weiter nicht bereit, über ihre Verantwortung für die Schäden zu sprechen. Wenn diese Blockade anhalte, sollten sich die armen Länder aus der COP zurückziehen, rät Nnimmo Bassey.

Die Energierevolution muss so oder so in den Ländern bewerkstelligt werden. Der notwendige Umbau, um unter 2 Grad Celsius zu bleiben, sei technisch wie politisch weiter machbar, sagt Kevin Anderson. Jetzt komme es darauf an, betont Fatima Ibrahim von Green New Deal UK im Interview mit Kontext TV, einen Green New national und global zu implementieren, bei dem es gerecht zugehe. Das bedeute, dass die oberen Einkommensschichten mit ihrem hohen Verbrauch Einschränkungen hinnehmen müssten. Insgesamt sei der Green New Deal aber für die meisten vorteilhaft. Er werde die Infrastruktur verbessern, die soziale Vorsorge und öffentlichen Verkehr garantieren, Millionen von neuen Jobs schaffen und dafür sorgen, dass die Staaten des globalen Nordens Reparationen für die Klimaschäden an den Globalen Süden zahlen. In vielen Ländern hätten die Verantwortlichen schon auf die Forderung nach einem Green New Deal reagieren müssen, sagt Ibrahim. Man sei noch nicht am Ziel, aber die Regierungen befänden sich in der Defensive.

Das"Davos-Cluster" überwinden

In dieser Hinsicht ist Glasgow ein Erfolg. Der Gipfel hat nämlich erneut Bewegungen, indigene Gruppen, politische Organisationen, progressive Politiker*innen und Klimaschützer*innen zusammengebracht, um über echte Lösungen und Alternativen zu sprechen. Hunderte Veranstaltungen fanden auf dem Gegengipfel, dem Peoples Summit on Climate Justice, statt. Überall in der schottischen Metropole war die Energie zu spüren: nicht nur bei den großen Demonstrationen, Protesten und Aktionen zivilen Ungehorsam. Ein globales und weit verzweigtes Netzwerk der Zivilgesellschaft wurde im Hintergrund der COP weitergewebt. Klimaschützer*innen aus der ganzen Welt lernten in Treffen voneinander und planen nun gemeinsam die nächsten Schritte. Sogar Streikende der schottischen Bahn schlossen sich den Klimaprotesten an. 120.000 Menschen nahmen an der großen Demonstration am Samstag teil. Das waren fast viermal so viele Teilnehmer*innen wie auf der offiziellen COP26 in Glasgow.

Kumi Naidoo ruft die Aktivist*innen nun auf, nicht lange über den Klimabankrott von Glasgow zu trauern, sondern weiterzumachen. Jeder Tag, jede Woche zähle von nun an. Nur die Bewegungen könnten die Kursänderung von unten erwirken, da ist sich auch Klimawissenschaftler Anderson sicher. Sie müssten die Machtbalance ändern und das „Davos-Cluster“ aus Staatschefs, Unternehmensführern und Meinungsmachern - das größte Hemmnis für globalen Klimaschutz - überwinden.

Wie stehen die Chancen für eine derartige Wende? Schwer zu sagen. Diejenigen, mit denen ich in Glasgow sprechen konnte, darunter prominente Vorkämpfer*innen für Klimaschutz, sehen vor allem in den jungen Aktivist*innen einen Quell der Hoffnung. Sie hätten den Diskurs in kurzer Zeit drehen können und die Klimakrise auf die politische Agenda gebracht. George Monbiot bringt es folgendermaßen auf den Punkt:

„Fridays for Future hat es fast geschafft, wie Forscher feststellen, das politische System Europas in einen 'kritischen Zustand' zu versetzen. Die Wucht wurde durch die Pandamie unterbrochen. Der Kipppunkt ist bisher noch nicht überschritten worden. Da ich Zeuge der Macht, Organisation und Wut der Bewegungen in Glasgow war, gehe ich davon aus, dass die Schwungkraft wieder zunehmen wird.”

Die Krokodilstränen von Alok Sharma sind vergossen und getrocknet, das Greenwashing-Spektakel beendet, während die Medien sich wieder anderen Themen zuwenden. Jetzt beginnt die Arbeit für echten Klimaschutz. Gemäß dem Motto: Nach der COP ist vor der Rebellion.